Familienschicksale;
Die ersten
Blumenthals in Rössing und der Erwerb einer Anbauerstelle
Israel Levin
Blumenthal I
Das erste Mitglied der Familie Blumenthal hat sich während
der gelockerten Bestimmungen in der Franzosenzeit , also zu Beginn des 19.
Jahrhunderts, in Rössing angesiedelt.
Israel Levin war ein Schlachter aus Barnten, Amt Steuerwald, der den Namen
Blumenthal angenommen hatte und vom Schlachten und Kleinhandel lebte.
Der Schutzbrief
Am 16. Februar 1814 wird er in einer Liste als
unvergeleiteter jüdischer Einwohner in der Vogtei Rössing aktenkundig, weil er
einen Schutzbrief beantragt hat. Die Behörde fragt an, ob der Antragsteller
Blumenthal „schutzwürdig“ sei. Der
Bürgermeister bzw. Vogt Opitz stellt ihm ein gutes Führungszeugnis aus und
befürwortet Blumenthals Antrag.
Am 31.Mai 1814 wird Israel Levin Blumenthal I ohne weitere Beanstandungen mit dem
Schutzbrief versehen. Er soll vier Reichsthaler jährlich bezahlen, aber
Bürgermeister Opitz teilt dem Amt gleich mit, dass Blumenthal nur in der Lage
sei, höchstens zwei Reichsthaler aufzubringen.
Im nächsten Jahr erhält Blumenthal eine Zahlungsaufforderung
über zwei Reichs-thaler, doch wegen Armut wird ihm die Zahlung erlassen. 1817
wird wegen des Schutzgeldes erneut eine Anfrage von Amts wegen gestellt und vom
Bürgermeister beantwortet:
"Gegen
seinen Lebenswandel ist nichts zu sagen, aber er hat wegen
Armut
bisher kein Schutzgeld bezahlt."
Und so geht es weiter, bis die Behörde im Jahre 1824
feststellt, dass Blumenthal seit der Erteilung des Schutzbriefes 1814 überhaupt
noch keine Zahlung geleistet hat. 1825
muss er zum ersten Mal zwei Reichsthaler bezahlen und das nun Jahr für Jahr
- bis 1842 das Schutzgeld im Königreich
Hannover aufgehoben wird.
Familiengründung
1824 leben im ganzen Amte Calenberg 176 Juden, davon etwa 15
in Rössing. Die jüdische Bevölkerung wird von Zeit zu Zeit behördlich in
statistischen Erhebungen gesondert
erfaßt.
Im Jahr 1816 war Israel Levin Blumenthal I 36 Jahre alt, seine Frau Hanne Meyer 30 und
ihr erster Sohn Israel Levin Blumenthal II drei Jahre. 1819 wird dem Ehepaar ein zweiter Sohn geboren,
Meyer Blumenthal.
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Quelle: NHSA Sign.
Hann 74 Cal Nr.423 Nr.425
Nr.431
Israel Levin Blumenthal II
Über
Israel Levin Blumenthal II, den ältesten Sohn des ersten Blumenthal in Rössing,
ist nicht viel bekannt. Er ist 1813 geboren und von Beruf Schlachter, wie schon
sein Vater. Er ist verheiratet mit Jette Blumenthal, geb. Abraham Heinemann.
Doch wo genau die Blumenthals in Rössing wohnten und ihr Gewerbe betrieben, ist
aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Über Hauseigentum verfügten sie zu diesem
Zeitpunkt noch nicht.
Nachdem Simon Neuberg verstorben ist, folgt ihm Levin
Blumenthal II 1855 als Synagogenvorsteher der hiesigen kleinen jüdischen
Gemeinde nach. Am 3. Januar 1873 stirbt Jette Blumenthal und ihr Mann muss als
Synagogenvorsteher ihren Tod in den Sterbelisten selbst beurkunden. Israel
Levin Blumenthal II stirbt 1881. Sein
Grabstein ist einer der wenigen, die auf dem jüdischen Friedhof in Rössing
heute noch erhalten sind. Ob das Ehepaar Kinder hatte, ist nicht bekannt. In
den Akten werden sie nicht erwähnt und Hinweise auf Grabsteine lassen sich
nicht mehr finden.
Quelle:
NHSA Sign. Hann 74 Nr. 431
Meyer Blumenthal
1819 wird Meyer Blumenthal als zweiter Sohn von Israel Levi
Blumenthal I und seiner Frau Hanne Meyer geboren. Dieser Meyer Blumenthal ist
der Stammvater aller weiteren in Rössing ansässigen Blumenthals, bis die
Familie 1942 dem Holocaust zum Opfer fällt.
Er wird Schlachter - wie schon sein Vater und sein sechs
Jahre älterer Bruder Israel Levi Blumenthal II.
Im Jahre 1852 kauft Meyer Blumenthal ein Haus, die
Anbauerstelle Nr. 116, heute
Maschstr. Nr. 22, und richtet dort eine Schlachterei ein. Im
selben Jahr heiratet er, 33 Jahre alt, Line Holländer aus Bergen, ebenfalls 33
Jahre alt. Eindeutig werden als seine Eltern in der Trauungsliste Israel Levin
Blumenthal l und Hanne Meyer angegeben. Am 16. März 1853 stirbt ein kleiner
Junge mit Namen Israel Blumenthal im Alter von 21 Wochen am
„Nervenfieber".Als dessen Eltern werden Meyer Blumenthal und Helene Bach
genannt.
Diese beiden Vorgänge lassen sich auf den ersten Blick nicht
ohne weiteres zusammenbringen. Aber da helfen die heute noch auf dem jüdischen
Friedhof vorhandenen Grabsteine weiter. Offensichtlich war das Verhältnis von
Meyer Blumenthal mit Helene Bach nur eine folgenreiche, voreheliche Episode.
Denn die 1819 geborene Line Blumenthal, die er 1852 geheiratet hatte, war und
blieb die Ehefrau von Meyer Blumenthal und wurde die Mutter seiner beiden
ehelichen Kinder, während Helene Bach nicht wieder in den Akten auftaucht.
Die Tochter Johanne Blumenthal wird 1855 geboren und der
Sohn Moritz drei Jahre später, 1858. Ihre Mutter Line stirbt 1884 und wird an
der Seite ihres zu diesem Zeitpunkt schon verstorbenen Mannes Meyer Blumenthal
beigesetzt. In welchem Jahr Meyer Blumenthal gestorben ist, läßt sich leider
auf dem sehr verwitterten Grabstein nicht mehr entziffern.
1852 umfaßt die jüdische Gemeinde 18 Personen in Rössing.
Diese werden aber nur summarisch aufgezählt, nicht namentlich. Die meisten
davon gehören zweifellos zu den beiden jüdischen Familien Neuberg und
Blumenthal, bei den anderen handelt es sich höchstwahrscheinlich um
Hauspersonal und sonstige Angestellte der beiden Familien.
Quelle: NHSA Sign.Hann 74 Nr. 431
Das Haus Nr.
116, heute Maschstraße Nr.22
Bei dem Haus Nr. 116, das Meyer Blumenthal 1852 gekauft hat,
handelt es sich um eine typische Anbauerstelle, zu der weder Ackerland noch ein
größerer Garten gehören. Es ist ein kleines Haus am Rande des Dorfes. Aber
schon der Erwerb eines Hauses ist erst seit 1847 offiziell durch eine Ergänzung
der „Emanzipationsakte“ von 1842 gestattet und ein Riesenschritt in der
Gleichberechtigung der Juden im Königreich Hannover.
An der Entwicklung des Brandkatasters können wir die
Wertsteigerungen des Hauses und den
wachsenden bürgerlichen Wohlstand der Familie erkennen. Der Vorbesitzer
des Hauses war Carl Brandes; das Baujahr ist nicht ersichtlich. In den ersten
10 Jahren nach dem Erwerb des Hauses durch Meyer Blumenthal im Jahre 1852
werden größere bauliche Maßnahmen durchgeführt, zweifellos ein Hinweis auf den
Umbau zur Schlachterei, denn der Versicherungswert wird 1861 von 750 auf 1.200
Reichsthaler hochgestuft. Es fällt auf, daß an dem Haus ständig Erhaltungs- und
Wertverbesserungsarbeiten durchgeführt werden.
1877 erfolgt wieder eine bedeutende Erhöhung des Taxwertes.
Nach der Umrechnung von Reichsthalern in Mark (1 Taler = 3 Mark) steigt er von
3.600 Mark auf 6.314 Mark.
Außerdem werden ein Stall, Waschhaus und Wagenschuppen neu
gebaut, Versicherungswert 344 Mark. Es werden also grössere Geldbeträge
investiert.
Auch unter Moritz Blumenthal, dem Sohn und Nachfolger von
Meyer Blumenthal, geht die positive Entwicklung weiter.
Quelle: NHSA Sign. Hann 330 Nr.51, 109, 879, 880
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