Sunday, June 24, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (13)


Familienschicksale;
Die ersten Blumenthals in Rössing und der Erwerb einer Anbauerstelle

Israel Levin Blumenthal  I

Das erste Mitglied der Familie Blumenthal hat sich während der gelockerten Bestimmungen in der Franzosenzeit , also zu Beginn des 19. Jahrhunderts,  in Rössing angesiedelt. Israel Levin war ein Schlachter aus Barnten, Amt Steuerwald, der den Namen Blumenthal angenommen hatte und vom Schlachten und Kleinhandel lebte.

Der Schutzbrief

Am 16. Februar 1814 wird er in einer Liste als unvergeleiteter jüdischer Einwohner in der Vogtei Rössing aktenkundig, weil er einen Schutzbrief beantragt hat. Die Behörde fragt an, ob der Antragsteller Blumenthal „schutzwürdig“ sei. Der Bürgermeister bzw. Vogt Opitz stellt ihm ein gutes Führungszeugnis aus und befürwortet Blumenthals Antrag.

Am 31.Mai 1814 wird Israel Levin Blumenthal I  ohne weitere Beanstandungen mit dem Schutzbrief versehen. Er soll vier Reichsthaler jährlich bezahlen, aber Bürgermeister Opitz teilt dem Amt gleich mit, dass Blumenthal nur in der Lage sei, höchstens zwei Reichsthaler aufzubringen.

Im nächsten Jahr erhält Blumenthal eine Zahlungsaufforderung über zwei Reichs-thaler, doch wegen Armut wird ihm die Zahlung erlassen. 1817 wird wegen des Schutzgeldes erneut eine Anfrage von Amts wegen gestellt und vom Bürgermeister beantwortet:

            "Gegen seinen Lebenswandel ist nichts zu sagen, aber er hat wegen
            Armut bisher kein Schutzgeld bezahlt."

Und so geht es weiter, bis die Behörde im Jahre 1824 feststellt, dass Blumenthal seit der Erteilung des Schutzbriefes 1814 überhaupt noch keine Zahlung geleistet hat.  1825 muss er zum ersten Mal zwei Reichsthaler bezahlen und das nun Jahr für Jahr -  bis 1842 das Schutzgeld im Königreich Hannover aufgehoben wird.

Familiengründung

1824 leben im ganzen Amte Calenberg 176 Juden, davon etwa 15 in Rössing. Die jüdische Bevölkerung wird von Zeit zu Zeit behördlich in statistischen Erhebungen  gesondert erfaßt.
Im Jahr 1816 war Israel Levin Blumenthal I  36 Jahre alt, seine Frau Hanne Meyer 30 und ihr erster Sohn Israel Levin Blumenthal II drei Jahre.  1819 wird dem Ehepaar ein zweiter Sohn geboren, Meyer Blumenthal.

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Quelle: NHSA   Sign. Hann 74 Cal  Nr.423   Nr.425  Nr.431


Israel Levin Blumenthal II

Über Israel Levin Blumenthal II, den ältesten Sohn des ersten Blumenthal in Rössing, ist nicht viel bekannt. Er ist 1813 geboren und von Beruf Schlachter, wie schon sein Vater. Er ist verheiratet mit Jette Blumenthal, geb. Abraham Heinemann. Doch wo genau die Blumenthals in Rössing wohnten und ihr Gewerbe betrieben, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Über Hauseigentum verfügten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Nachdem Simon Neuberg verstorben ist, folgt ihm Levin Blumenthal II 1855 als Synagogenvorsteher der hiesigen kleinen jüdischen Gemeinde nach. Am 3. Januar 1873 stirbt Jette Blumenthal und ihr Mann muss als Synagogenvorsteher ihren Tod in den Sterbelisten selbst beurkunden. Israel Levin Blumenthal II  stirbt 1881. Sein Grabstein ist einer der wenigen, die auf dem jüdischen Friedhof in Rössing heute noch erhalten sind. Ob das Ehepaar Kinder hatte, ist nicht bekannt. In den Akten werden sie nicht erwähnt und Hinweise auf Grabsteine lassen sich nicht mehr finden.

Quelle: NHSA  Sign. Hann 74 Nr. 431

Meyer Blumenthal

1819 wird Meyer Blumenthal als zweiter Sohn von Israel Levi Blumenthal I und seiner Frau Hanne Meyer geboren. Dieser Meyer Blumenthal ist der Stammvater aller weiteren in Rössing ansässigen Blumenthals, bis die Familie 1942 dem Holocaust zum Opfer fällt.
Er wird Schlachter - wie schon sein Vater und sein sechs Jahre älterer Bruder Israel Levi Blumenthal II.

Im Jahre 1852 kauft Meyer Blumenthal ein Haus, die Anbauerstelle Nr. 116, heute
Maschstr. Nr. 22, und richtet dort eine Schlachterei ein. Im selben Jahr heiratet er, 33 Jahre alt, Line Holländer aus Bergen, ebenfalls 33 Jahre alt. Eindeutig werden als seine Eltern in der Trauungsliste Israel Levin Blumenthal l und Hanne Meyer angegeben. Am 16. März 1853 stirbt ein kleiner Junge mit Namen Israel Blumenthal im Alter von 21 Wochen am „Nervenfieber".Als dessen Eltern werden Meyer Blumenthal und Helene Bach genannt.

Diese beiden Vorgänge lassen sich auf den ersten Blick nicht ohne weiteres zusammenbringen. Aber da helfen die heute noch auf dem jüdischen Friedhof vorhandenen Grabsteine weiter. Offensichtlich war das Verhältnis von Meyer Blumenthal mit Helene Bach nur eine folgenreiche, voreheliche Episode. Denn die 1819 geborene Line Blumenthal, die er 1852 geheiratet hatte, war und blieb die Ehefrau von Meyer Blumenthal und wurde die Mutter seiner beiden ehelichen Kinder, während Helene Bach nicht wieder in den Akten auftaucht.

Die Tochter Johanne Blumenthal wird 1855 geboren und der Sohn Moritz drei Jahre später, 1858. Ihre Mutter Line stirbt 1884 und wird an der Seite ihres zu diesem Zeitpunkt schon verstorbenen Mannes Meyer Blumenthal beigesetzt. In welchem Jahr Meyer Blumenthal gestorben ist, läßt sich leider auf dem sehr verwitterten Grabstein nicht mehr entziffern.

1852 umfaßt die jüdische Gemeinde 18 Personen in Rössing. Diese werden aber nur summarisch aufgezählt, nicht namentlich. Die meisten davon gehören zweifellos zu den beiden jüdischen Familien Neuberg und Blumenthal, bei den anderen handelt es sich höchstwahrscheinlich um Hauspersonal und sonstige Angestellte der beiden Familien.

Quelle: NHSA Sign.Hann 74 Nr. 431

Das Haus Nr. 116,  heute Maschstraße Nr.22

Bei dem Haus Nr. 116, das Meyer Blumenthal 1852 gekauft hat, handelt es sich um eine typische Anbauerstelle, zu der weder Ackerland noch ein größerer Garten gehören. Es ist ein kleines Haus am Rande des Dorfes. Aber schon der Erwerb eines Hauses ist erst seit 1847 offiziell durch eine Ergänzung der „Emanzipationsakte“ von 1842 gestattet und ein Riesenschritt in der Gleichberechtigung der Juden im Königreich Hannover. 

An der Entwicklung des Brandkatasters können wir die Wertsteigerungen des Hauses und den  wachsenden bürgerlichen Wohlstand der Familie erkennen. Der Vorbesitzer des Hauses war Carl Brandes; das Baujahr ist nicht ersichtlich. In den ersten 10 Jahren nach dem Erwerb des Hauses durch Meyer Blumenthal im Jahre 1852 werden größere bauliche Maßnahmen durchgeführt, zweifellos ein Hinweis auf den Umbau zur Schlachterei, denn der Versicherungswert wird 1861 von 750 auf 1.200 Reichsthaler hochgestuft. Es fällt auf, daß an dem Haus ständig Erhaltungs- und Wertverbesserungsarbeiten durchgeführt werden.
1877 erfolgt wieder eine bedeutende Erhöhung des Taxwertes. Nach der Umrechnung von Reichsthalern in Mark (1 Taler = 3 Mark) steigt er von 3.600 Mark auf 6.314 Mark.
Außerdem werden ein Stall, Waschhaus und Wagenschuppen neu gebaut, Versicherungswert 344 Mark. Es werden also grössere Geldbeträge investiert.

Auch unter Moritz Blumenthal, dem Sohn und Nachfolger von Meyer Blumenthal, geht die positive Entwicklung weiter.

Quelle: NHSA Sign. Hann 330 Nr.51, 109, 879, 880

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