Sunday, June 24, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (21)


Der jüdische Friedhof

Über den Ursprung des jüdischen Friedhofs an der alten Hildesheimer Straße, am Kirschenbrink, ist nichts bekannt. Aber er ist mit Sicherheit schon über 200 Jahre alt. Die jüdischen Friedhöfe auf den Dörfern wurden immer weitab vom Dorfmittelpunkt angelegt, häufig mitten in der Feldmark. Der hiesige Friedhof lag damals auch weitab. Durch die Ausdehnung des Dorfes liegt er heute schon am Rande des bebauten Gebietes. Aktenkundig wurde der Friedhof am 10. Februar 1813.

Damals war der 56-jährige Adam Oppenheimer aus Gronau infolge eines Unglücksfalles beim Überschreiten der zugefrorenen und mit Schnee bedeckten Leine ertrunken. Bei Rössing war er gefunden und zu einem Hause im Eikenhof gebracht worden. Dort wurde er von zwei Gronauer Glaubensgenossen, dem Kaufmann Heine Dannenberg, 23 Jahre alt, und Isaac Meier, 20 Jahre alt, im Beisein des Rössinger Bürgermeisters Georg Opitz, (Rössing Nr. 22) identifiziert und dann auf dem Rössinger Judenfriedhof beigesetzt.

1992 forschte ein Dr. Arnold Oppenheimer aus London nach den Gräbern seiner Vorfahren auf dem Rössinger Judenfriedhof, zu denen auch der ertrunkene Adam Oppenheimer gehörte. Er teilte mit, dass viele seiner Gronauer Vorfahren auf dem Rössinger Friedhof beerdigt seien, weil Rössing ein Sammelfriedhof gewesen sei. Darüber waren aber hier bisher noch keine Unterlagen aufgefunden worden. Doch es wäre einleuchtend, weil der Rössinger Friedhof für die kleine Rössinger Synagogengemeinde allein sehr groß gewesen wäre. Dr. Oppenheimer konnte es gar nicht fassen, dass die alten Grabsteine seiner Familie nicht mehr erhalten sind, denn die Gräber der Juden hatten eine ewige Liegezeit und wurden normalerweise nicht eingeebnet.

Die Zeitspanne zwischen der Feststellung des Todes und der Bestattung war bei den Juden immer sehr kurz. Innerhalb von 24 Stunden mussten sie beerdigt werden, zumindest durften sie nicht mehr im Hause sein. Erst ca. 25 Jahre später nach diesem Todesfall, etwa 1840, wurde diese Frist auf 48 Stunden verlängert, um zu verhindern, dass Scheintote oder im Koma Liegende bei lebendigem Leibe begraben wurden.

Quelle:  NHSA  Hannover, Sign. Hann 74, Gronau 1660/1665


Schliessung der jüdischen Friedhöfe


Am 31. Juli 1938 beantwortete die Gemeinde Rössing eine Anfrage der NS-Behörden, den jüdischen Friedhof betreffend:
           
„Der jüdische Friedhof ist 4,37 ar groß, Eigentümer ist die jüdische Gemeinde in Rössing. Die letzte Beerdigung war hier am 5. Juni 1938. Es sind noch etwa 25 freie Begräbnisplätze vorhanden. Zur Zeit wohnt noch eine jüdische Familie Blumenthal mit vier Personen in Rössing.“

Karl Blumenthal hatte sich schon mit Wilhelm Freimann, dem Grenznachbarn des jüdischen Friedhofes, in Anbetracht der sich zuspitzenden Judenverfolgungen in Verbindung gesetzt. Wilhelm Freimann grenzte mit seinem Hausgrundstück Nr 132, heute als Nr. 45 der Kirchstraße zugeordnet, an den Judenfriedhof. Am 2. Juli 1940 wurde in Hannover zwischen dem Rechtsanwalt Dr. Hans Israel Ries als alleinigem Vorstand der jüdischen Kultusgemeinde, welche die Nachfolgerin der jüdischen Gemeinde in Rössing war, und Wilhelm Freimann ein Kaufvertrag mit folgendem Inhalt geschlossen:
           
Die Schlosser Wilhelm Freimann kauft den ganzen jüdischen Friedhof von
4 ar 37m² für 218,50 RM. Der Käufer verpflichtet sich, während einer Liegefrist
von 30 Jahren den mit Gräbern belegten Teil des Friedhofs unangetastet zu
lassen und während der Liegefrist eine Grabpflege in angemessener Weise
vorzunehmen, den Angehörigen während der Liegefrist Zutritt zum Friedhof zu
geben, auch wenn sie nicht mehr in Rössing ansässig sind, ggf.die Beerdigung der z. Zt. in Rössing ansässigen Juden auf dem Friedhof zu gestatten und unter allen Umständen die Pietät in erforderlicher Weise zu wahren.

Der Käufer hinterlegt den Kaufpreis beim Notar. Dieser übermittelt es an die Reichsvereinigung der Juden in Berlin, die zugunsten des (jüdischen) Gemeindevermögensfonds Rössing überweist.

Wilhelm Freimann ist Arier im Sinne des Gesetzes.

Unterschrift                           Unterschrift

Offenbar hatte man die Liegefristen für die jüdischen Gräber schon auf 30 Jahre beschränkt.

Bei dieser Art Verträge war folgendes üblich:
Als am 6. September 1940 das Synagogengrundstück in Eldagsen verkauft wurde, wurde der Vertrag ebenfalls vor Dr. Ries in Hannover abgeschlossen. Als sich die Synagogengmeinde über den geringen Verkaufspreis von 2.000 RM beschwerte, wurde ihr mitgeteilt, daß die Synagogengemeinde als Verkäuferin sowieso nur 500 RM davon bekäme, 1.500 RM gingen an das Reich als Ausgleichszahlung. Außerdem muß der Käufer noch 200 RM an den Makler bezahlen. So ähnlich wird es auch beim Verkauf des Rössinger Friedhofs zugegangen sein.

Familie Freimann räumte den Friedhof auf und entfernte die umgefallenen und zerbrochenen Grabsteine. Im übrigen hielt sie ihn die ganzen Jahre in Ordnung, bis sie ihn nach dem Krieg entschädigungslos wieder an die jüdische Gemeinde in Hannover (Haeckelstraße 13) übereignen mußte, so war das Gesetz. Bis 1979 pflegte Familie Hachmeister-Freimann, nun gegen ein geringes Entgelt, den Friedhof weiter.
Danach wurde eine Gärtnerei mit der Pflege beauftragt, die mehrmals im Jahr den Rasen mäht. Die Gräber sind mit Efeu bepflanzt, der auch geschnitten wird, und die Grabsteine wurden gereinigt.
Der Friedhof wurde neu eingezäunt, er erhielt verschließbare Pforten, und ein holzgeschnitztes Schild „Judenfriedhof“ macht auf den etwas versteckten Standort. aufmerksam.
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Quellen: NHSA Hannover, Sign: Hann 174, Springe Nr. 163 und Nr. 167
                                  

Sechs alte Gräber und Grabsteine stehen noch auf dem Friedhof. Vier davon sind aus schon sehr verwittertem Sandstein. Neben den Namen und Daten auf der Vorderseite tragen sie auf der Rückseite umfangreiche hebräische Inschriften. 

Lewi Blumenthal                       Meier Blumenthal
geb. 1813, gest. 1881                geb. 1819, gest. ---
Sie waren die beiden Söhne des ersten Blumenthal Israel Lewi I in Rössing

            Line Blumenthal                                        Johanne Blumenthal
geb. 1819, gest 1884                                 geb. 1855, gest. 1926

die Frau von Meier Blumenthal               die Schwester von Moritz Blumenthal

Der Grabstein von Moritz Blumenthal ist aus schwarzem Marmor, der von seiner Frau dagegen schon recht klein und bescheiden.

            Hier ruht in Gott                                          Hier ruht
            mein unvergesslicher Gatte                     unsere liebe Mutter
            und meiner Kinder                                     Sophie Blumenthal
treusorgender Vater                                   geb. 18.4.1866
Moritz Blumenthal                                    gest. 4.5.1938
geb. 7.12.1858
gest. 17.11.1930

Von den fünf Söhnen von Moritz und Sophie Blumenthal fand keiner mit seiner Familie die letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof seines Heimatdorfes. Hermann und Gustav mit seiner Frau sind in den USA geblieben und dort beerdigt, ebenso Willi.

Robert wurde als erster am 15. Dezember 1941 mit Frau und Kindern nach Riga ins Ghetto transportiert, als Todesdatum wurde angegeben 26.März 1942. Karl und Familie wurden am 28. März nach Trawniki in Polen deportiert. Niemand weiß, wo sie geblieben sind und wie sie den Tod fanden.Und von Willis Frau und Kindern haben wir gar keine Daten. Nur der Name Blumenthal auf den sechs Grabsteinen erinnert noch an diese jüdische Familie, die fast 140 Jahre in Rössing gelebt hat.

Vier Stolpersteine

Die Gemeinde hat vor dem Hause der Blumenthals in der Maschstraße Nr. 22 zum Gedenken an ihre jüdischen Mitbürger am 19. November 2009 vier „Stolpersteine“ durch Gunter Demnig verlegen lassen: In einer sehr würdevollen Feier in Anwesenheit von mehreren Mitgliedern der Familie Blumenthal wurden vier Messingplatten mit den Namen der einzelnen Familienmitglieder ins Pflaster vor dem Hause eingelassen. Es sind keine wirklichen Stolpersteine, sie sollen nur auffordern einen Augenblick des  Gedenkens innezuhalten.

Trotz ihrer schrecklichen Schicksale sind die beiden Kinder von Gustav Blumenthal, Werner und Lore, wieder nach Deutschland zurückgekommen, um hier zu leben. Werner ist nach der Internierung in Kanada nach Herne gegangen, hat 1947 dort geheiratet und seine fünf Kinder leben alle in Deutschland – in Berlin, Hamburg und Herne. Von dort sind sie gekommen, um an der Feier teilzunehmen.

Lore ist nach dem Tode der Mutter - mit ihrem amerikanischen Mann und dessen Mutter - ihrem Bruder nach Herne gefolgt. 1999 , mit 73 Jahren, ist sie in Herne gestorben. 

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