Thursday, April 26, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (12)


Synagogen- und Schulwesen

1687 wurde den Juden in den Welfischen Fürstentümern Calenberg, Göttingen und Grubenhagen die Wahl eines eigenen geistlichen Oberhauptes, eines Landesrabbiners und damit endlich ihre freie Religionsausübung gestattet. Die Synagogen, soweit vorhanden, standen bisher schmucklos und in versteckten Winkeln. Die jüdische Religionsausübung sollte unbemerkt von der Öffentlichkeit vor sich gehen.
Der Landesrabbiner hatte richterliche Funktionen und war für Streitigkeiten der Juden untereinander verantwortlich. Außerdem unterstand ihm das jüdische Schulwesen, wobei es sich fast ausschließlich um Talmudschulen handelte. Der Talmud ist die Sammlung der Gesetze der religiösen Überlieferungen des nachbiblischen Judentums. Die Kinder lernten hauptsächlich Hebräisch, die jüdischen Gesetze und Gebetsriten. Weitere Lerninhalte waren vor allem für Mädchen kaum vorgegeben.
Von 1802 bis ca. 1830 war der Posten des Landesrabbiners nicht besetzt.

1816 erfolgte von Seiten des Amtes Calenberg eine Anfrage an die Gemeinde Rös- sing, ob eine Synagoge oder eine jüdische Schule am Ort sei. Die Antwort war „Nein".

In demselben Jahr wurde in einer Liste der zum Haushalt des Nathan Schay-Neuberg gehörenden Personen der 39jährige Daniel Rufen als Schullehrer angeführt. Solche jüdischen Hauslehrer waren damals vor allem Religionslehrer. Vom 3. Lebensjahr an wurden die Kinder im jüdischen Glauben und seinem Ritualkodex unterrichtet. Diese Lehrer waren auch besonders im Schächten ausgebildet, damit die jüdischen Speisegesetze eingehalten werden konnten. Sie fungierten als Sänger und Vorbeter bei den Gebetsstunden, bei denen die geschriebene Thorarolle der 5 Bücher Moses, der Gebetschal, der den Kopf bedeckte und der Gebetsriemen, ein Lederriemen, der in einer besonderen Art und Weise um den Arm gewickelt wurde, eine wichtige Rolle spielten.

Wie im einzelnen hier auf dem Lande die jüdischen Gottesdienste abgehalten wurden, ist nicht überliefert. Zu einem vorschriftsmäßigen jüdischen Gottesdienst gehörten nämlich mindestens 10 männliche Juden über 14 Jahre.

1824 waren aber lt. Statistik insgesamt nur 20 Juden in Rössing vorhanden, wovon mehr als die Hälfte Frauen und Kinder waren. Wahrscheinlich mußte hier das ganze Ritual in einer vereinfachten Form stattfinden.

1842 wurden die Juden aufgefordert, Synagogengemeinden zu bilden.
M. Zuckermann gibt in seinem Buch: „Kollektanea zur Geschichte der Juden im Hannoverland" (Hannover 1912) an, daß es 1842 in Rössing eine Synagoge gab.

Dies war aber mit Sicherheit kein eigenständiger Kirchenbau, sondern der jüdische Gottesdienst wurde in einem Wohnraum der Familie Neuberg abgehalten.
1860/61 wurde das Wohnhaus von Simon Neuberg umgebaut, man sieht es aus der Erhöhung der Versicherungssumme im Brandkataster. Es wurde mit einem Anbau versehen und dieser Anbau wurde lt. mündlicher Überlieferung als Synagoge genutzt, zumindest, so lange wie das Haus im Besitz der Familie Neuberg war (bis ca. 1900).

Synagogenvorsteher waren


1843 Nathan Neuberg bis 1854
1855 Simon Neuberg bis 1873

1873 Israel Levi Blumenthal

Moritz Blumenthal
Karl Blumenthal bis 1942

Die Synagogenvorsteher waren verpflichtet, Heirats-, Geburts- und Sterbelisten zu führen. Leider enthalten sie sehr wenig Angaben, und es sind auch nur noch sehr wenige erhalten.
Die nächste Synagoge mit einem richtigen Synagogengebäude befand sich bis 1942 in Eldagsen.

Jüdisches Schulwesen


1854 erfolgte die Neuordnung eines eigenständigen jüdischen Elementarschulwesens und der jüdischen Lehrerbildung, die beide dem Landrabbinat unterstanden. Nach der Schulordnung von 1854 waren mit 17 Wochenstunden mehr als die Hälfte der Unterrichtsgegenstände auf jüdische Religion und Kultur ausgerichtet, davon waren allein 4 Stunden hebräische Sprache und 3 Stunden für biblische und jüdische Geschichte vorgesehen.
In Rössing hat es jedenfalls keine jüdische Elementarschule gegeben, dazu war der Ort viel zu klein. Vielleicht lag auch darin der Grund, daß so viele Kinder der hiesigen jüdischen Familien in den Akten nicht wieder auftauchten.
Bei den Juden ist ein hervorstechendes Merkmal der Sippenzusammenhalt. Ältere oder auch jüngere Verwandte fanden ohne weiteres Unterschlupf in den Familien, und so ist auch möglich, daß die Kinder in größeren Orten bei Verwandten wohnten und dort die jüdische Schule besuchten.

Die Eltern waren verpflichtet, ihre Kinder in die christlichen Schulen zu schicken, wenn keine jüdischen Schulen am Ort waren. Vom Religionsunterricht waren sie allerdings befreit Für den jüdischen Religionsunterricht sorgte dann der Rabbiner.

In der Schulstatistik der Rössinger Grundschule fanden sich nur Angaben.über den Zeitraum von 1898 bis 1911. Frühere Angaben über jüdische Schulkinder waren nicht aufzufinden.

1898-1900 kein jüdisches Kind
1901 2 jüdische Kinder
1904.24.Juli je 1 jüd. Kind in Kl. III und Kl. IV
1906.20.Juni 3 jüdische Kinder
1911.24.Mai 1 jüdisches Kind

Quellen: NHSA, Sign: Hann 74 Cal Nr. 431 und 432
Niedersächsisches Jahrbuch 1989
Rössinger Schulchronik Band 2

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (11)


Familienschicksale – Rahel Simson, Nathan Schay-Neuberg und ihre Kinder


Rahel Simson und Nathan Schay-Neuberg werden Stammeltern einer jüdischen Familie, die über vier Generationen bis ca. 1930 in Rössing ansässig ist.

Nathan Schay-Neuberg bezahlt jährlich 4 Reichstaler für den Schutzbrief für sich und seine Familie und gehört somit zu den „reputierlichen“ Juden. Er ist recht wohlhabend und handelt mit Tuch- und Ellenwaren, außerdem betreibt er einen Hoken- oder Kleinhandel.
Eine amtliche Beurteilung über ihn lautet im Jahre 1816:

---ist ein rechtlicher Mann, führt sich recht gut und besitzt hier eine kleine Köthnerey.

Zwischen 1807 und 1815 bekommt das Ehepaar fünf Kinder:
Nathan 1807
Ester 1809
Simon 1811
Lina 1813
Sara 1815
Conrad Geburtsjahr unbekannt
Außerdem gehören zum Haushalt der Schullehrer Daniel Rufen, der Handelsknecht Wolf Walbaum und die Magd Eva Moses.

1828 verfügt die Regierung, daß die Juden wieder unveränderliche Nachnamen annehmen müssen. Nathan Schay nimmt wieder seinen alten Namen aus der Franzosenzeit an: Neuberg.

Bildung von Synagogengemeinden


Mit Schreiben vom 18. Juli 1843 fordert die Landdrostei die Juden in Rössing auf, Synagogengemeinden zu bilden. Der Vorsteher dieser Synagogengemeinde wird verpflichtet, Trauungs-, Geburts- und Sterbelisten zu führen. Dies sind die einzigen Quellen für die Lebensdaten der hiesigen jüdischen Einwohner. Von diesen Listen sind aber nur sehr wenige, dazu lückenhaft geführte Exemplare erhalten. Standesämter gab es noch nicht und jüdische Geburten oder Eheschließungen wurden in die christlichen Kirchenbücher nicht eingetragen.
Der erste Synagogenvorsteher wird Nathan Neuberg.

Eine schöne Mitgift

Im Jahr 1854 taucht noch eine Julie Neuberg auf, die wir nicht ohne weiteres einordnen können. Es kann sich um eine spät geborene Tochter von Rachel und Nathan Neuberg oder um eine schon heiratsfähige Tochter des noch recht jungen Simon Neuberg handeln.

Von ihr erfahren wir erst im Jahre 1854 etwas, als der 30jährige Handelsmann Levi Wolff aus Hildesheim sie heiraten will.
Der Hildesheimer Magistrat hat Bedenken wegen der wirtschaftlichen Lage des Bräutigams. Aus diesem Grunde richtet er am 11. März 1854 eine Anfrage an die Gemeinde Rössing, ob die Angaben des Wolff zutreffen, dass der „Fabrikant“ Neuberg seine Tochter mit einem Brautschatz von 400 Reichsthalern ausstatten kann,
und außerdem erkundigt er sich nach dem guten Ruf der Braut.
Beide Fragen werden wohlwollend beantwortet.

Der Fabrikant Neuberg ist sehr wohl des Vermögens, seiner Tochter eine Aussteuer von 400 Reichsthalern zu geben.
Seine Tochter Julie Neuberg hat bis jetzt ein sittlich unbescholtenes Leben geführt.“

Und so steht einer Heirat wohl nichts mehr im Wege. Allerdings erfahren wir in dem Schreiben auch nicht, ob es sich bei dem Brautvater, dem „Fabrikanten Neuberg, um den Vater Nathan oder seinen Sohn Simon Neuberg handelt.

Kurze Zeit später, noch in demselben Jahre 1854 stirbt Nathan Neuberg.

Das Erbe wird geteilt


Nach dem Tode des Vaters wird der zweitälteste Sohn von Nathan, der 1811 geborene Simon Neuberg im Jahr 1855 Synagogenvorsteher.

Das Grundstück der Köthnerstelle Nr. 15 wird mit dem Garten der Länge nach geteilt. Zu jedem Teil gehört ein Wohnhaus und ein langgestreckter Garten. Das linke Haus erbt Simon, es behält die Nummer 15 (heute Lange Straße Nr. 7), das rechte Haus erhält der jüngste Sohn Conrad. Dies steht mit dem Giebel direkt an der Straße und bekommt die neue Hausnummer 71 (heute Lange Straße Nr. 9).
Über Nathan, den ältesten Sohn des Ehepaares und die drei Töchter erfahren wir nichts. Ob sie verheiratet und fortgezogen oder verstorben sind, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

Die nächste Generation

Simon Neuberg ist verheiratet mit Friederike Oppenheimer und hat zwei Kinder.
Die Tochter Regine heiratet 1866 den 30jährigen Hermann Leidensdorf aus Neuhaus an der Elbe und verläßt Rössing.

Der Sohn David ist Kaufmann und heiratet am 13. Februar 1872 Johanne Kaiser aus Eschwege, wo auch die Hochzeit stattfindet, und am 29. November desselben Jahres wird er Vater eines Sohnes Paul.
Dieser Paul Neuberg taucht später als Inhaber eines Schuhgeschäftes in Walsrode auf. Seine Familie fällt später dem Holocaust zum Opfer.

Wahrscheinlich ist Simon Neuberg 1873 schon verstorben, denn der Schlachter Israel Levi Blumenthal hat zu diesem Zeitpunkt das Amt des Synagogenvorstehers inne.
Simon Neubergs Wohnhaus wird um die Jahrhundertwende 1899/1900 an Schneidermeister Wilhelm Haase verkauft, der es seiner Tochter vererbt und seit 1982 ist es im Besitz von Klaus Peinemann.

Die Witwe von David Neuberg, Johanne Kaiser, lebt nachdem Wegzug ihres Sohnes und dem Verkauf des Hauses noch bis ca. 1930 allein in Rössing im Eikenhof Nr. 4 (etwa 2004 abgerissen). In der Nachbarschaft war sie als „Tante Nit“ bekannt. Sie hütete oft die Kinder der Bauern und ging mit ihnen spazieren, wenn diese keine Zeit hatten. Eine stereotype Redewendung von ihr war: „Nit woahr?“, und so kam sie zu ihrem Spitznamen. Sie starb etwa 1930 und hat die Zeit der Nationalsozialisten nicht mehr erlebt.
Über die Familie von Conrad Neuberg oder seine Nachfahren ist nichts bekannt. Das Haus Nr 71 wird schon vor der Jahrhundertwende verkauft. Es wechselt mehrfach den Besitzer; Kregel, Sindram und bis in die 50er Jahre Familie Siede. Der letzte Siede war ein besonderes Original, er war der letzte Rössinger Bader, gleichzeitig Friseur, Apotheker, Arzt, Zahnarzt und Kohlenhändler.
Heute hat das Haus einen Sarstedter Besitzer.

Damit war die Familie Neuberg in Rössing ausgestorben. Auf dem jüdischen Friedhof finden sich auch keine Grabsteine der Familie Neuberg mehr. Als 1940 der jüdische Friedhof zwangsweise verkauft wurde, entfernte man die umgefallenen und zerbrochenen Grabmale. Es blieben nur Steine der Familie Blumenthal erhalten, die bis 1942 in Rössing lebte.

Weitere Familiennachrichten


Der Rössinger Stammvater der Neubergs, Nathan Schay, stammte aus Sarstedt. Die Sarstedter Neubergs waren eine angesehene und wohlhabende Familie und betrieben Textil- und Schuhhandel auf der Hauptstraße. Unter anderem gehörte ihnen das Haus Steinstraße 13, die heutige Begegnungsstätte der Gemeinde, bis sie in der NS-Zeit dem Holocaust zum Opfer fielen

Quellen: NHSA Sign: Hann 74 Cal Nr. 423, 424, 425, 427, 428, 431 

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (10)


Familienschicksale - Nathan Schay-Neuberg kauft eine Köthnerstelle


18O8 nach der Verkündung des Westfälischen Namensediktes nahm das Ehepaar Simson/Schay als unveränderlichen Nachnamen den Namen Neuberg an.
Die von den Franzosen zugesicherte Gleichberechtigung schloß den bis dahin im Kurfürstentum Hannover verbotenen Grunderwerb der Juden ein. Nathan Schay nutzte die Gunst der Stunde. Nachdem er am 21. Dezember 18O6 seinen Schutzbrief erhalten hatte, kaufte er die Köthnerstelle Nr. 15 ( Lange Str. Nr. 7).

Diese Köthnerstelle hatte Hans Heinrich Blume gehört, der über 40 Jahre dort den Dorfkrug und einen einträglichen Garn- und Hokenhandel betrieben hatte. Nach seinem Tode 1802 geriet sein Sohn Heinrich Julius Blume in finanzielle Schwierigkeiten. Er ging in Konkurs. und der Schlachter Schreyer aus Jeinsen kaufte Haus und Grundstück. Von diesem erwarb Nathan Neuberg die Köthnerstelle. Aber die behördliche Zustimmung zum Erwerb der „Köthnerey" wurde ihm von Seiten der Regierung mit Schreiben vom 16. Juni 18O8 verweigert.

Als Begründung wurde angegeben, daß das Ehepaar nicht wohlhabend genug sei, um solche finanziellen Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Denn es sei nicht einmal im Stande gewesen, die Schulden von Amsel Calman abzutragen, dem ersten Ehemann der Rahel Simson.

Solange die Franzosen im Lande waren, ließ man die Familie Schay-Neuberg unbehelligt. Sie wohnte in ihrem Hause, brachte es zu einer ansehnlichen Kinderschar, hatte einen Hauslehrer, eine Dienstmagd, einen Handelsknecht und brachte es durch den Handel mit „Tuch- und Ellenwaren" zu einigem Wohlstand.
Aber als die Franzosen abgezogen waren, wurden die meisten alten Judengesetze wieder in Kraft gesetzt und Familie Neuberg mußte um ihren Besitz fürchten.
Daher richtete Neuberg im Sommer des Jahres 1814 an die Provisorische Regierungskommission das Gesuch, ihn in seinem Besitz zu bestätigen. Diese forderte das Amt Calenberg auf, Nathan Schay (auch die bleibenden Familiennamen hatte man vorübergehend wieder abgeschafft) zur Verantwortung zu ziehen, weil er die besagte Köthnerstelle angekauft habe, obwohl ihm die Erlaubnis dazu (im Jahre 18O8) verweigert worden war. Der in Rössing schon während der Franzosenzeit amtierende Bürgermeister Georg Opitz befürwortete aber das Gesuch des Nathan Schay-Neuberg sehr eindringlich.

"Da es keine weiteren Gründe gibt, dem Schay-Neuberg die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb zu verweigern, als den, weil eigentlich die Schutzjuden nicht mit liegenden Gründen angesetzt sein sollten, so ist dies in neueren Zeiten aber doch möglich. Die Familie ist inzwischen wohlhabend und in der Lage, die Blumesche Konkurs-Sache endlich zu beendigen und den ausstehenden Teil der Kaufsumme und die restlichen Zinsen bar zu bezahlen. Darum weiß ich dem Wunsche des Schay-Neuberg, in seinem Eigentum von der jetzigen Landesregierung geschützt zu werden, gar nichts entgegen zu setzen."

Aber das Amt Calenberg fordert Rechtfertigung. Zweimal wird Schay vergeblich vorgeladen. Ein seitenlanges, sehr interessantes Protokoll gibt Kunde von der Verhandlung am 19. September 1814 auf dem Amt Calenberg.
Für sein zweimaliges Fernbleiben entschuldigt er sich einmal wegen der Feier des jüdischen Neujahrsfestes und das andere Mal sei er verreist gewesen. Ferner gibt er an:

Solange die Hannnöversche Verwaltung gedauert habe, hätte er es nicht gewagt, gegen das von Königlicher Regierung ergangene Verbot, die Stelle des Köthners Blume, die der Schlächter Schreyer aus Jeinsen gekauft habe, zu erwerben. Aber während der Westfälischen Verfassung (König Jerôme) habe kein Verbot bestanden, daß jüdische Untertanen Grundbesitz erwerben dürften, und so habe er keine Bedenken gehabt, in den Kontrakt Schreyers einzutreten. Diese Verhandlung sei indes nur mündlich abgemacht und damit beschlossen, daß Schreyer ihm sämtliche sich auf den Ankauf beziehenden Aktenstücke ausgehändigt habe. Da er nicht der einzige Jude gewesen sei, der in dieser Periode Grundbesitz erworben habe, hoffe er, daß man dieses nicht übel aufnehmen werde. Nur durch den Tod des Schlächters Schreyer sei die Sache noch nicht abgewickelt gewesen.
Zu der Köthnerei gehöre auch kein Ackerland, und das dem Herrschaftlichen Amt zustehende Dienstgeld für Haus und Garten von nur 5 Reichsthalern und 24 Mariengroschen könne er leicht aufbringen (anstatt der auf den Köthnerstellen lastenden Hand- und Spanndienste). Die 27O Reichsthaler in Gold, die Schlächter Schreyer von der Kaufsumme schuldig geblieben sei, habe er auch übernommen und hätte sie schon längst beim damaligen Mahlerter Friedensrichter Liekefett bezahlt, wenn die angesagten Termine zustande gekommen wären.
Die Schulden, die vom ersten Ehemann seiner Ehefrau , Amsel Calman herrührten, seien längst vor dem Friedensrichter Liekefett in der Westfälischen Zeit durch einen Vergleich bereinigt.
Sehr hart wäre es auch für ihn, wenn das Gesuch abgeschlagen würde, weil er schon 3OO bis 4OO Reichsthaler an Reparaturen in das Haus gesteckt habe."

Im Mai 1815 wird Nathan Schay-Neuberg folgender Beschluß verkündet und schriftlich ausgehändigt:

Nathan Schay-Neuberg wird der Besitz des Kothofes zugesprochen.
Sollte allerdings ihm oder seinen Leibes- oder sonstigen Erben der Landesherrliche Schutz (Schutzbrief) entzogen werden, so muß der Kothof einem christlichen Einwohner verkauft oder überlassen werden. Sollten er oder seine Frau zu ihren Lebzeiten den Kothof verkaufen wollen, so gilt dieselbe Bedingung, daß der neue Besitzer ein Christ sein muß und kein Jude sein darf."

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74 Calenberg, Nr. 430 und Nr. 439


200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (9)


Familienschicksale - Rahel Simson, Amsel Calman und Nathan Schay- Neuberg

Im 18. Jahrhundert gab es in Rössing nach den registerförmigen Quellen noch keine vergleiteten Juden. Erst als in der Franzosenzeit die Bestimmungen liberaler wurden und die Verwaltungen durch die Fremdherrschaft sowieso verunsichert waren, faßten sie auch in Rössing Fuß.
Im Jahre 18O6 in Rössing wurde hier eine Jüdin mit Namen Rahel Simson aktenkundig. Sie stammte aus dem Hessischen und war zugewandert, aber bei wem sie in Rössing lebte oder arbeitete, geht nicht aus den Akten hervor. Doch dieser Aktenvermerk hatte schon eine längere Vorgeschichte.

Am 24.März des Jahres 18O4 hatte der aus dem Bambergischen zugewanderte und in Pattensen lebende „Judenknecht“ Amsel Calman einen Antrag auf Erteilung eines Schutzbriefes auf die Dorfschaft Wülfingen gestellt. Das wurde ihm aber mit Schreiben vom 6. August 18O4 von Seiten des "Calenberg-Grubenhagenschen Polizey- und Städte-Departements" verweigert.

Die Begründung lautete:

--daß bei der bereits vorhandenen großen Anzahl inländischer Schutzjuden Bedenken getragen werde, ausländischen Juden den Schutz in hiesigen Landen zu verleihen, mithin dem eingebrachten Gesuch nicht stattgegeben werde.“
Offenbar hat Amsel Calman doch noch den Schutzbrief auf Wülfingen erhalten, der bis "Meytag" 18O6 Gültigkeit hatte. Inzwischen hatte er sich mit der in Rössing lebenden Rahel Simson verlobt und beantragte im März 18O5 die Transferierung seines Schutzbriefes von Wülfingen auf das „ganze Dorf Rössing." Dazu mußte erst ein Gutachten von der Gemeindeverwaltung eingeholt werden.

Rössing bestand damals noch aus 2 Gemeindeteilen, dem Amt Rössing und dem Adeligen Gericht Rössing, die erst 1829 zusammengelegt wurden. Da man der Meinung war, daß mehr als ein einziger vergleiteter Jude für Rössing zuviel wäre, befürwortete man den Schutzbrief nur für das „ganze" Dorf, nicht etwa einen für jeden Gemeindeteil. Amsel Calman lebte vom Pferdehandel und erhielt seinen Schutzbrief. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, daß er dafür weiterhin jährlich 4 Reichstaler an das Amt Calenberg zu bezahlen habe, was eine ansehnliche Summe darstellte.

Ob es noch zu der beabsichtigten Heirat mit Rahel Simson kam oder ob Amsel Calman vorher starb, läßt sich nicht genau feststellen. Kurze Zeit nach der Transferierung des Schutzbriefes im Juli 18O5 war er jedenfalls tot und Rahel Simson wird manchmal als seine Braut und manchmal als seine Witwe bezeichnet.

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74 Cal 425




Rahel Simson und Nathan Schay-Neuberg


Aber im März des folgenden Jahres 18O6 hat Rahel Simson einen neuen Verlobten, Jesaia Nathan Schay aus Sarstedt, manchmal auch Schey oder Schaie geschrieben. Dieser nahm später den Namen Neuberg an, der noch manchem alten Rössinger bekannt ist. Rahel Simson beantragte den Schutzbrief für ihren Verlobten, damit er nach Rössing ziehen könnte und die Hochzeit stattfinden dürfte. Aber der Antrag wurde am 14. April 18O6 von „Seiner Königlichen Majestät von Preußen provisorisch bestätigter hiesigen Provinzial-Regierung" abgelehnt, denn im Jahre 1806 gehörte das Kurfürstentum Hannover im Zuge der Napoleonischen Wirren für einige Monate zu Preußen.

Daraufhin schrieb Nathan Schay ein weiteres dringendes Gesuch auf Erteilung des Schutzbriefes, weil seine Braut jetzt hoch schwanger sei, und er zeigte die unglücklichen Folgen, wenn sie nicht mit dem Landesherrlichen Schutz begnadigt würden.

"Es steht daher in Eurer Wohlgeborenen Gewalt, meine Braut und mich glücklich zu machen oder in namenloses Elend zu stürzen, denn auf den Bericht eures hochlöblichen Amtes wird es ankommen, ob ich mit dem Landesherrlichen Schutz begnadet werde oder nicht. Ich wage daher auf hochderoselben Menschenfreundlichkeit vertrauend, die gehorsamst demütigste Bitte: Hochderoselben wollen geruhen, auf das von meiner Braut unterm 19.d.M. bei einem hohen Polizey und Städte-Departement untertänigst überreichte Gesuch einen wohlmöglich guten Bericht huldvollst abzustatten.
Ich ersterbe in tiefstem Respekt
Euer Wohlgeboren untertänigster Diener

Nathan Schay“


Daraufhin ordnet die Provinzialregierung mit Schreiben vom 10. Juli 1806 an, daß das Gesuch erneut zu überprüfen sei. Es soll genau dargestellt werden, was gegen die Gewährung des Schutzes vorzubringen sei. Der Rössinger Amtsvogt beantwortet das Schreiben am 1. August 1806 wohlwollend. Aber offensichtlich hat sich der ganze Vorgang verzögert, vielleicht durch die politischen Veränderungen. Denn am 16. Oktober 1806 hatten die Preußen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage erlitten und die Franzosen waren wieder die Herren im Lande. Mit Schreiben vom 18. Dezember desselben Jahres befürwortet der Vogt erneut, Nathan Schay mit dem Schutz zu begnadigen, nachdem er umfassende Erkundigungen über das Vermögen, die Lebensumstände und die Familie des Bewerbers aus Sarstedt eingezogen hat.

Da ich wegen des bisherigen Lebenswandels und guter Aufführung die vorzüglichsten Zeugnisse erhalten habe, ist gegen eine Schutzbrieferteilung nichts einzuwenden.“

Diese erfolgte, wenn auch mit einiger Verzögerung, so daß die Heirat mit mit Rachel Simson stattfinden und das Paar sich in Rössing niederlassen konnte.

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Cal Nr. 425

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (8)


Familienschicksale - Samuel Hirsch und seine Frau Jette

Die folgenden Kapitel drehen sich vor allem um die Erlangung der für die Juden überlebenswichtige Schutzbrieferteilung.

Im Jahre 1806 stellt der „Judenknecht“ Samuel Hirsch aus Barnten wiederholt einen Antrag auf einen Schutzbrief auf Rössing. Als „Judenknechte“ wurden alle nicht selbstständig arbeitenden männlichen Juden im „Amtsdeutsch“ bezeichnet. Dieser Schutzbrief wird ihm mehrmals abgeschlagen.

Der gutachterliche Bericht des Rössinger Gemeindevogts war sehr ungünstig ausgefallen. Samuel Hirsch stammte aus Barnten, das zum Hildesheimer Amt Steuerwald gehörte.

Nachdem sein in Armut geratener Vater sich zu seinem in Copenhagen etablierten Sohne begeben, hat er sich bald im Hildesheimischen, bald im Hannöverschen umhergetrieben. Mehr denn ein Schutzjude darf nach unserm unterthänigst pflichtmäßigen Dafürhalten im Dorfe Rössing nie vergleitet werden, wenn er sich auf ehrliche Art nähren und seinen Glaubensgenossen nicht als Bettler zur Last fallen soll. Es erscheint der hiesigen Amts- und Gerichtsgemeinde von keinem großen Gewicht, ob es gleich bei dem geführten umherschweifenden Lebenswandel des Supplikanten uns unthunlich gewesen, von dessen bisherigem Wandel zuverlässige Erkundigung einzuziehen.“

In diesem Schreiben vom 18. Dezember 1805 an das Regierungs-Collegium des Amtes Calenberg legt der Amtsvogt aus Rössing seiner vorgesetzten Behörde nahe, die Schutzbriefanträge des Samuel Hirsch ein für allemal abzulehnen.

Samuel Hirsch hält sich die nächsten Jahre trotzdem vorwiegend in Rössing unter dem Adeligen Gericht als unvergleiteter Jude auf. Er lebt vom Trödelhandel mehr schlecht als recht. Als während der Franzosenzeit das westfälische Namensedikt 1808 verlangte, daß die hannöverschen Juden unveränderliche Familiennamen annehmen sollten, nennt er sich
Samuel Hirsch-Neuhaus
Er heiratet während dieser Zeit eine Jette Behrens aus Bernburg, mit welcher er jedoch eine „unzufriedene Ehe“ führt.

Bürgermeister (maire) Georg Opitz beschreibt die Verhältnisse des Ehepaares Hirsch-Neuhaus:

Samuel Hirsch-Neuhaus, 39 Jahre, lebt vom Trödelhandel, seine Vermögensumstände sind schlecht. Er lebt unter dem Adeligen Gericht und hat eine Frau.“
Bei der Frage nach der Schutzwürdigkeit heißt es einmal:

Er führt nicht die beste Lebensart, mißhandelt seine Frau und überläßt sie der
Wohltätigkeit anderer Leute. Er verdient den Schutz nicht.“


Ein anderes Mal lautet seine Beurteilung ähnlich:

Er stehet nicht in bestem Rufe, soll jedem schuldig sein und behandelt seine Frau äußerst schlecht, hat sich von ihr separiert, gibt ihr nichts zu leben und muß Leute um Almosen anbetteln. Meines Dafürhaltens soll ihnen der Schutz nicht gewährt werden. Ein Haus oder Grundstück besitzt das Paar nicht in Rössing.“

Nachdem das Paar schon einige Zeit getrennt gelebt hatte, ließ es sich im Jahre 1817 förmlich scheiden, und die Ehe wurde den jüdischen Gesetzen gemäß aufgehoben. Für ihr eingebrachtes Heiratsgut erhielt Jette Behrens von ihrem geschiedenen Ehemann 50 Reichstaler zurück.

1818 hat Samuel Hirsch-Neuhaus dann doch seinen Schutzbrief erhalten und der Rössinger Gemeindevogt Opitz steckt sich hinter die Verwaltung auf dem Calenberg, um Jette Behrens, die sich „hier immer noch herumtreibt und mit allerlei Trödeleien abgibt,“ nach Bernburg, in ihre Heimat und zu ihren wohlhabenden Verwandten abzuschieben.
Obwohl sie hier doch gar keine Veranlassung zu längerem Aufenthalt mehr hat, hält sie sich doch noch am Ort und in der Umgebung auf und hat auch immer noch ein Unterkommen gefunden. Da inzwischen zu befürchten ist, daß besagte Person, wenn sie einst alt und hilfsbedürftig ist, dem Publico zur Last fällt und um Unterstützung bittet, halte ich es für meine Pflicht, die Verhältnisse dem königlichen Amte anzuzeigen. Der Jette Behrens sei bitte zu bedeuten, daß sie sich binnen einiger Monate von hier wegzubegeben habe.“

Auf dies Schreiben vom Gemeindevogt Opitz vom Dezember 1819 erhält Jette Behrens vom Königlichen Amt Calenberg die Aufforderung, sich bis Ostern 1820 aus Rössing und dem hiesigen Amte zu entfernen. Offenbar hat sie dieser Aufforderung Folge geleistet, denn sie taucht in den Rössinger Akten nicht wieder auf.

Das fiscalische Schutzgeld für Samuel Hirsch-Neuhaus war 1818 bei Erteilung des Schutzbriefes zunächst auf 4 Reichstaler festgesetzt worden. Aber da das Geld nicht beizutreiben war, wird es 1822 auf 2 Reichstaler ermäßigt und danach „wegen seiner Dürftigkeit“ ganz erlassen. Bis 1840 wird Samuel Hirsch-Neuhaus in den Listen der jüdische Einwohner noch geführt. Wahrscheinlich ist er dann gestorben und auf dem jüdischen Friedhof in Rössing beigesetzt.

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Cal. Nr. 425

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (7)


Ein Diebstahl auf dem Schloß


Die ältesten Judenakten in Rössing befassen sich mit einem Eigentumsdelikt.

1757 wurde ein namentlich nicht genannter Jude beim Diebstahl von silbernen Tressen auf dem adeligen Gute ertappt. Er war geständig und gab die gestohlenen Tressen auch sogleich zurück. Es war die Zeit des Siebenjährigen Krieges, das Kurfürstentum Hannover war von den Franzosen besetzt und auch in Rössing lag Einquartierung.

Bei dem Übeltäter handelte sich um einen hier angesessenen Juden und Herr F.L. von Rössing als Guts- und gleichzeitig Gerichtsherr sperrte den Übeltäter für drei Tage im Hundestall ein, der als Karzer diente. Danach ließ er ihn laufen und betrachtete die Angelegenheit damit als erledigt.

Aber der Gerichtsvogt der Gemeinde, G.W. Rothard, erstattete über die Angelegenheit postwendend schriftlichen Bericht auf dem Calenberg. Offenbar stand er in persönlicher Feindschaft zu dem Patrimonialgerichtsherrn. Das zeigt die sehr aggressive Form, die in all seinen diesbezüglichen Schriftstücken hervorsticht. Er war der Meinung, Herr von Rössing hätte kein Recht gehabt, den Delinquenten eigenmächtig zu entlassen. Vielmehr hätte er ihn nach drei Tagen „zwischen den beiden Brücken" (Schloßgraben und Rössingbachbrücke) dem Calenberger Gericht übergeben müssen, damit dieser vom Amtsgericht ordentlich abgestraft würde.

Allein die arglistigen Inhabers des Rössingschen Niedergerichts
versuchen öfters bei ein und den anderen Veränderungen, ob sie durch
dergleichen Einschleichung sich verbreiten können."

F.L von Rössing wurde vom Amt um Stellungnahme gebeten.
Seine Antwort:

Da der hier eingesessene Jude, als man ihn ertappte, die Silbertressen, die er in den Händen hielt, sogleich zurückgegeben hat, ist er nicht wegen Diebstahls, sondern nur wegen ungebührlicher Aufführung mit drei Tagen Hundezwinger bestraft. So habe ich mich auch nicht eines Eingriffs in die Königliche Jurisdiktion schuldig gemacht.“

Vereinzelt in den Dörfern lebende Juden hielten sich mit Vorliebe unter den „Adeligen Gerichtsherrn“ auf, weil sie dort meistens nicht die volle Härte der offiziellen restriktiven hannoverschen Judenpolitik traf.

Quelle: NHSA, Sign. Hann 74, Cal Nr. 295

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (6)


Die Emancipation der Juden im Königreich Hannover

Während In der Deutschen Bundesakte von 1815 die Gleichstellung der Juden formal beibehalten wurde, setzten die einzelnen Deutschen Bundesländer, bis auf Preußen, sie wieder außer Kraft.

Mit Fragebögen wurde die jüdische Bevölkerung wieder genau erfaßt. Es wurde nachgeforscht, wo jemand inzwischen Grundeigentum erworben hatte und die Institution des Schutzjudentums wurde erneuert. Die unveränderlichen Nachnamen blieben teilweise im Gebrauch, manchmal fielen sie weg.

In Frankreich erfolgte die Gleichstellung der Juden 1790 durch eine einzige Akte, im Königreich Hannover dagegen war es ein langwieriger Prozeß, der sich schrittweise über Jahrzehnte erstreckte. 1828 wurden wieder bleibende Familiennamen eingeführt.

Die drei Rössinger Judenfamilien mußten sich am 14. Mai 1828 auf dem Amt Calenberg einfinden und ihren Wahlnamen angeben. Sie entschieden sich für die Namen, die sie auch schon während der Franzosenzeit führten:

Neuhaus, Neuberg und Blumenthal

1832 Der Gesetzentwurf zur Reform der bürgerlichen Verhältnisse der Juden, an den „nur noch letzte Hand anzulegen war," gelangte 1836 zur Beratung an die Stände und ging 1837 im Verfassungskonflikt unter.

30. September 1842: „Emancipationsgesetz“

Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden

Artikel 1, Abschnitt 1 stellte als Regel den Grundsatz der Gleichheit in Rechten und Pflichten mit den Christen auf.

§ 5 enthielt die Bestimmung:
"Das Schutzverhältnis der Juden, so weit es noch besteht, wird aufgehoben. Die daraus folgenden Leistungen bleiben jedoch einstweilen und bis auf ein zu erlassendes Gesetz bestehen."

Die Juden wurden zwar der allgemeinen Wehrpflicht unterworfen, aber der Regierung stand das Recht zu, die Juden bis auf weiteres nicht zum Militärdienst heranzuziehen.

Viele Bestimmungen des neuen Gesetzes wurden durch Ausnahmeregelungen durchlöchert.

1847 folgten Ergänzungen zu dem Gesetz von 1842, unter anderem:

das Recht der Juden, ein Haus und 1 1/4 Morgen Acker zu erwerben.

Am 5. September 1848 brachte das Gesetz die völlige Gleichstellung der Juden im Königreich Hannover durch den Passus, daß die Ausübung der bürgerlichen und politischen Rechte vom Religionsbekenntnis unabhängig sein sollte. Die Juden konnten damit auch öffentliche Ämter übernehmen und waren berechtigt zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung.

1869 sorgte der Norddeutsche Bund für die Aufhebung der letzten persönlichen Beschränkungen.

Quelle:
Niedersächsisches Jahrbuch 1992, Uwe Eissing S. 287 ff. (Rechtsverhältnisse der Juden)

Niedersächsisches Jahrbuch 1993, Wolfgang Marienfeld S. 263 ff. (Familiennamen der Juden)

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (5)


Lockerung der Judengesetze in der Franzosenzeit und bleibende Familiennamen

Während der französischen Revolution, schon 1789 auf der Nationalversammlung, wurde für die Juden als Staatsbürger die rechtliche Gleichstellung gefordert und durch die Emanzipationsakte in Frankreich auch gesetzlich verankert. Als während der französischen Okkupation große Teile des Kurfürstentums Hannover dem kurzlebigen Königreich Westfalen (18O7-1812) angegliedert wurden, erhielten auch die hannoverschen Juden die bürgerliche Gleichstellung. Die alten hannoverschen Judengesetze wurden aufgehoben, der Grunderwerb gestattet und die Schutzbriefe sowie der diskriminierende Leibzoll wurden abgeschafft.

Obwohl durch das Dekret vom 27. Januar 1808 allen Juden dieselben Rechte wie den andern Bürgern eingeräumt wurden, mußten die Juden in Hannover das ihnen von der alten Landesregierung auferlegte Schutzgeld weiter zahlen. Ein diesbezügliches Protestschreiben wurde von der französischen königlich-westfälischen Präfektur in Kassel abgeschmettert.

„Das Schutzgeld gehört zu den Dotationen, die dem Kaiser der Franzosen nach der Okkupation des Kurfürstentums Hannover zustehen und die dieser an König Jerôme von Westfalen abgetreten hat.“

Am 31.März 1808 wurde außerdem verfügt, daß die Juden binnen 3 Monaten bleibende Familiennamen annehmen sollten. Bis dahin führten sie in der Regel nur ihre alttestamentarischen Vornamen. Das westfälische Namensedikt wurde im Benehmen mit den Juden des Landes entwickelt, die sich einmütig für bleibende Familiennamen ausgesprochen hatten. Die Namenwahl war grundsätzlich freigestellt, anders als in Frankreich waren auch jüdische Namen und Vornamen erlaubt. (3)

Aber als nach dem Ende der Fremdherrschaft Hannover 1814 Königreich wurde, setzte es sofort, noch vor dem Ende des Wiener Kongresses, seine aus dem 18. Jahrhundert stammenden kurfürstlichen Judengesetze - mit Ausnahme des Leibzolls - wieder in Kraft, erneuerte damit die Institution des Schutzjudentums und setzte seine restriktive Judenpolitik fort.

Von 1828 bis 1833 sammelten die Landdrosteien statistisches Material über die Lage der jüdischen Bevölkerung. Ihr Anteil betrug 0,6% im Königreich. Außer ländlichen Handelsleuten, Schlachtern und kleinen Gewerbetreibenden gab es nur einen jüdischen Juristen, einen Arzt und einen Tierarzt, und die Altstadt von Hannover verfügte noch, wie die Stadt Osnabrück, über das Privileg des non tolerandi Judaeos. (4)

Quellen
  1. Dr. jur. Abraham Löb, Frankfurt 1908: Rechtsverhältnisse der Juden im ehemaligen Königreiche und der jetzigen Provinz Hannover
  2. M. Zuckermann, Hannover 1912 Kollektanea zur Geschichte der Juden im Hannoverland
3) Niedersächsisches Jahrbuch 1993, Wolfgang Marienfeld, S. 275 ff
4) Niedersächsisches Jahrbuch 1992, Uwe Eissing S. 289

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (4)


Erwerb von Grund und Boden

Der Besitz von Grund und Boden, Ackerland und Gärten, Wohnhäusern und sonstigen Immobilien war den Juden in den welfischen Ländern seit eh und je verboten. Aber da sie Geldverleih betrieben und dafür häufig Sicherheiten in Form von Grundbesitz nahmen, waren die diesbezüglichen landesherrlichen Anordnungen oft unterlaufen worden.

Um den bestehenden Gesetzen erneut Nachdruck zu verleihen und einer weiteren Verbreitung dieses Brauchs Einhalt zu gebieten, wurde 1718 auf Befehl des hannoverschen Kurfürsten Georg Ludwig, der 1714 als Georg I den englischen Königsthron bestiegen hatte, ein Dekret mit folgendem Inhalt veröffentlicht:

"Es wird angeordnet, daß von nun an kein Jude in unseren Landen, den Fürstentümern Lüneburg, Calenberg, Göttingen und Grubenhagen u.s.w., die Stadt Harburg ausgenommen, weder in den Städten noch auf dem Land ein Wohnhaus oder andere Immobilien als Eigentum erwerben soll.

Nachdem die Juden in der vergangenen Zeit durch Kauf viele Häuser und Immobilien an sich gebracht, wurde die Zahl der Juden vermehrt, die bürgerliche Nahrung dagegen vermindert und die Häuser im Preis unnötig gesteigert. Außerdem werden die Bürger durch Einquartierung von Soldaten über Gebühr belastet, da die Juden-Häuser wegen der Verfassung bisher nie mit Einquartierung belegt worden sind. Damit diese Anordnung nicht unterlaufen wird, wird der Abschluß solcher Contrakte verboten, die am Ende eine rechtmäßige Güterübertragung nach sich ziehen. Wo eine Veräußerung verboten ist, ist auch eine Verpfändung verboten. Im ersteren Fall fallen die Immobilien der Königlichen Kammer anheim, im zweiten Fall, also bei Verpfändung, soll der Schuldner nicht zur Zahlung verpflichtet sein und der Contrakt null und nichtig.

Damit jedoch den Untertanen nicht jede Gelegenheit genommen wird, im Fall der Not auf ihre Immobilie Geld herzuleihen, so wird gestattet, daß ein Jude 6 Jahre lang Geld darauf leiht, dies darf aber nur vor dem Magistrate geschehen. Nach 6 Jahren erlischt der Vertrag. Sollte nach diesen 6 Jahren der Schuldner zahlungsunfähig sein, und eine Verlängerung der Hypothek wünschen, so ist dies beim Rat anzumelden, der eine diesbezügliche Anordnung trifft. Damit sich aber kein Jude mit Unwissenheit entschuldigt, wird diese Anordnung öffentlich angeschlagen und jedem Juden mit dem Schutzbrief zusammen ausgehändigt."

5. Januar 1718
Ad Mandatum Regis
F.W.Fr. von Goertz


Quelle: NHSA Sign: Hann 74, Cal Nr. 43O





Am 18. August 1731 wurde von der hannoverschen Regierung eine weitere Verordnung erlassen, die folgendes zum Inhalt hatte:

"Wir vernehmen mißfällig, daß unsere unterm 5. Januar 1718 erlassene Verordnung, kraft welcher wir verboten, daß die in unseren Landen vergeleiteten Juden einige unbewegliche Güter an sich bringen oder darauf anders als die vorgeschriebene Art Gelder herleihen, von vielen Magistratspersonen dahin gedeutet wird, daß den Juden erlaubt sei, bei Konkursen oder Zwangsversteigerungen Immobilien durch das höchste Gebot zu erstehen, oder auf Ländereien Geld zu leihen und in Besitz zu nehmen, den Pflug darauf zu schicken, oder Gärten und Wiesen selbst zu bestellen oder das Nutzungspfand an Liegenschaften zu genießen. Dies läuft unserer Absicht völlig zuwider. So bekräftigen wir unsere Willensmeinung dahingehend, daß es den Juden auf keine Art und Weise erlaubt sein soll, Immobilien an sich zu bringen. Auch bei Zwangsversteigerungen ist es nicht gestattet, daß sie selbst oder durch Bevollmächtigte vertreten, die Pfandnutzung an Ländereien, Gärten oder Wiesen erwerben."

Es folgt der Passus wie vorhergehend.

"Damit kein Jude sich mit Unwissenheit entschuldigen kann, wird dies sofort öffentlich bekannt gemacht und einem jeden Juden ein Exemplar zugestellt."

18. Aug. 1731
Ad Mandatum Regis
L. U. v. Hardenberg

Quelle: NHSA, Sign: Hann 74 Cal Nr. 43O



Aber schon längst hatte die handelsübliche Praxis die fürstlichen Anordnungen überholt. Es war den Juden nicht mehr länger zu verbieten, für ihre Darlehen auch offiziell Sicherheiten zu nehmen und auf Immobilien Hypotheken eintragen zu lassen. Daher folgte dem Dekret vom 18. Aug. 1731 einige Monate später, am 17. Dez. desselben Jahres ein neues. Im Namen des Königs Georg verfügte die hannoversche Regierung nun folgendes:

"Es sind bei der in unsern Landen angesessenen Judenschaft Zweifel über die unterm 18. August 1731 ergangene Verordnung entstanden: Kann einer der vergeleiteten Schutzjuden, wenn er Gelder ausleiht, gültige Hypothek auf Immobilien eintragen lassen? Hat eine solche Hypothek nach dem Edikt Gültigkeit und wird sie nach vorfallenden Konkursen anerkannt?

Unsere Willensmeinung wird hiermit kund getan: Weil den in unseren Landen vergeleiteten und mit richtigen Schutzbriefen versehenen Juden die Handelschaft nach Maßgabe der ergangenen Edikte gestattet ist, ist ihnen auch nicht verwehrt, bei allen ihnen erlaubten Verträgen die erlaubten Sicherheiten zu nehmen. Dazu gehört allerdings auch die Belastung von Immobilien und "liegenden Grund=Stücken" mit Hypotheken. Im übrigen behält das Edikt seine Gültigkeit. Wir erklären noch einmal ausdrücklich, daß alle vergeleiteten und mit gehörigen Schutzbriefen versehenen Juden bei allen und jeden ihnen erlaubten Handlungen, wo sie es zu ihrer Sicherheit nötig finden, sich von den Schuldnern auf Immobilien Hypotheken verschreiben lassen dürfen und bei entstehenden Konkursen und anderen ´Prozessen in Judicando´ den Rechten gemäß darauf zu reflektieren. Es soll nach rechtlicher Ordnung bei all unseren Gerichten danach verfahren werden ohne Ansehung der Tatsache, daß bei dieser Art Schulden Juden in den Besitz von Immobilien kommen.

17. Dezember 1731
Ad Mandatum Regis
L. U. v. Hardenberg


Quelle: NHSA Sign: Hann 74 Cal Nr. 43O

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (3)


Berufsbeschränkungen der Juden

Ein reguläres Handwerk durften die Juden weder erlernen noch ausüben, denn die Zünfte waren ihnen verschlossen. Die Handwerkergilden, die Zünfte und Innungen basierten auf den christlichen Bruderschaften des Mittelalters, und ihr Brauchtum war stark christlich geprägt. Mit der Zunftverfassung konnte eine "durch Religion und Sitte ganz verschiedene Sekte" kaum in Übereinstimmung gebracht werden.

Schlachten

Das Schlachten war ihnen zum eigenen Verbrauch erlaubt, aber z.T. auch zum Verkauf an Christen. Ihr jüdischerGlaube gestattete ihnen, nur Fleisch von geschächteten Tieren zu essen.

Dieses Schächten ist eine rituelle Schlachtung makelfreier (koscherer) Tiere. Nach den jüdischen Speisegesetzen sind dies wiederkäuende Paarhufer wie Rind, Schaf, Ziege oder Hirsch. Es wird von einem Schächter, einem Kultbeamten durchgeführt. Dieser führt mit einem langen, scharfen Messer einen raschen Querschnitt durch Halsschlagader, Speise- und Luftröhre des Tieres, wodurch eine volle Ausblutung erreicht werden soll. Eine vorherige Betäubung des Schlachttieres war religionsgesetzlich unzulässig.

In Deutschland wurde das Schächten durch das Gesetz vom 21.4.1933 verboten, weil es dem deutschen Tierschutzgesetz widerspricht. Durch Verordnung wurde es 1946 und 1947 von den Alliierten Militärregierungen wieder zugelassen. Eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung steht auch heute noch aus und es wird in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt.

Handel und Geldgeschäfte

Die organisierten Kaufmannschaften waren ihnen verschlossen.
Die Juden durften mit alten und einigen neuen Waren handeln, so weit nicht die Privilegien der Zünfte oder der Bürgerschaft dagegen standen. Als „Trödeljuden" hielten sich viele über Wasser. Der Hokenhandel, der Kleinhandel, war ihnen erlaubt. Gewohnheitsmäßig kamen auf dem Lande der Vieh-, Getreide- und Pferdehandel dazu, sowie Geld- und Wechselgeschäfte.

Vor allem der Geldverleih lag in den Händen der Juden, den das kirchliche Zinsverbot den Christen untersagte. Sie hatten das Privileg, von Darlehen Zinsen zu nehmen und das Recht, verpfändete oder verkaufte Sachen bis zur Zahlung zurückzubehalten. Einige Juden kamen dadurch zu erheblichen Vermögen und wurden wegen ihrer Geschicklichkeit in Gelddingen von den stets finanzschwachen Fürsten an ihre Höfe gezogen.

Einer von diesen war der bekannte Joseph Süß-Oppenheimer (1692-1738), der von Herzog Karl Alexander von Württemberg zum Geh. Finanz-und Staatsrat ernannt wurde. Durch Münzmanipulationen und Verkauf von Ämtern, Titeln und Privilegien erschloß er dem geldbedürftigen Herzog immer neue Geldquellen. Die Beamtenschaft und die Landstände zwangen dem Herzog kurz vor seinem Tode den Haftbefehl gegen Süß-Oppenheimer ab, der in einem anfechtbaren Verfahren zum Tode verurteilt wurde. Seine Lebensgeschichte diente als Vorlage für den im Dritten Reich gedrehten Film „Jud Süß.“

Geisteswissenschaften


Öffentliche Ämter und Würden im Militär- und Zivilstand waren ihnen bis zur Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert nicht zugänglich, obwohl das in den verschiedenen deutschen Fürstentümern auch unterschiedlich gehandhabt. wurde. Die Universitäten standen ihnen offen und es gab jüdische Ärzte und Advokaten. Diese Gegebenheiten führten dann im 19. und 2O. Jahrhundert beinahe zwangsläufig in verschiedenen Berufsgruppen, vor allem geistigen und künstlerischen, zu einer Überrepräsentation der Juden im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung.

Ein klassisches Beispiel dafür ist die Nachkommenschaft des jüdischen Bankiers und Kammeragenten Leffmann Behrens im 17. Jahrhundert am Hannoverschen Hofe
Er war verheiratet mit Jente Hameln. Diese hatte aus erster Ehe schon sechs Kinder. Aus ihrer zweiten Ehe mit Leffmann Behrens gingen noch einmal drei Kinder hervor.
Diese Kinder hatten sehr berühmte Nachfahren, u.a. Siegmund Freud, die Dichter Heinrich Heine und Carl Sternheim und der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy

Quellen:
Dr. jur.Löb, Abraham:
Rechtsverhältnisse derJuden im ehemaligen Königreiche und der jetzigen Provinz Hannover“, Frankfurt 1908

M: Zuckermann.
„Kollekteana zur Geschichte der Juden im Hannoverland“, Hannover 1912

Jahrbuch des Historischen Vereins 1992, Uwe Eissing S.320 ff