Familienschicksale - Nathan Schay-Neuberg kauft eine Köthnerstelle
18O8
nach der Verkündung des Westfälischen Namensediktes nahm das
Ehepaar Simson/Schay als unveränderlichen Nachnamen den Namen
Neuberg an.
Die
von den Franzosen zugesicherte Gleichberechtigung schloß den bis
dahin im Kurfürstentum Hannover verbotenen Grunderwerb der Juden
ein. Nathan Schay nutzte die Gunst der Stunde. Nachdem er am 21.
Dezember 18O6 seinen Schutzbrief erhalten hatte, kaufte er die
Köthnerstelle Nr. 15 ( Lange Str. Nr.
7).
Diese
Köthnerstelle hatte Hans Heinrich Blume gehört, der über 40 Jahre
dort den Dorfkrug und einen einträglichen Garn- und Hokenhandel
betrieben hatte. Nach seinem Tode 1802 geriet sein Sohn Heinrich
Julius Blume in finanzielle Schwierigkeiten. Er ging in Konkurs. und
der Schlachter Schreyer aus Jeinsen kaufte Haus und Grundstück. Von
diesem erwarb Nathan Neuberg die Köthnerstelle. Aber die behördliche
Zustimmung zum Erwerb der „Köthnerey" wurde ihm von Seiten
der Regierung mit Schreiben vom 16. Juni 18O8 verweigert.
Als
Begründung wurde angegeben, daß das Ehepaar nicht wohlhabend genug
sei, um solche finanziellen Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Denn
es sei nicht einmal im Stande gewesen, die Schulden von Amsel Calman
abzutragen, dem ersten Ehemann der Rahel Simson.
Solange
die Franzosen im Lande waren, ließ man die Familie Schay-Neuberg
unbehelligt. Sie wohnte in ihrem Hause, brachte es zu einer
ansehnlichen Kinderschar, hatte einen Hauslehrer, eine Dienstmagd,
einen Handelsknecht und brachte es durch den Handel mit „Tuch- und
Ellenwaren" zu einigem Wohlstand.
Aber
als die Franzosen abgezogen waren, wurden die meisten alten
Judengesetze wieder in Kraft gesetzt und Familie Neuberg mußte um
ihren Besitz fürchten.
Daher
richtete Neuberg im Sommer des Jahres 1814 an die Provisorische
Regierungskommission das Gesuch, ihn in seinem Besitz zu bestätigen.
Diese forderte das Amt Calenberg auf, Nathan Schay (auch die
bleibenden Familiennamen hatte man vorübergehend wieder abgeschafft)
zur Verantwortung zu ziehen, weil er die besagte Köthnerstelle
angekauft habe, obwohl ihm die Erlaubnis dazu (im Jahre 18O8)
verweigert worden war. Der in Rössing schon während der
Franzosenzeit amtierende Bürgermeister Georg Opitz befürwortete
aber das Gesuch des Nathan Schay-Neuberg sehr eindringlich.
"Da
es keine weiteren Gründe gibt, dem Schay-Neuberg die Erteilung der
Erlaubnis für den Erwerb zu verweigern, als den, weil eigentlich die
Schutzjuden nicht mit liegenden Gründen angesetzt sein sollten, so
ist dies in neueren Zeiten aber doch möglich. Die Familie ist
inzwischen wohlhabend und in der Lage, die Blumesche Konkurs-Sache
endlich zu beendigen und den ausstehenden Teil der Kaufsumme und die
restlichen Zinsen bar zu bezahlen. Darum weiß ich dem Wunsche des
Schay-Neuberg, in seinem Eigentum von der jetzigen Landesregierung
geschützt zu werden, gar nichts entgegen zu setzen."
Aber
das Amt Calenberg fordert Rechtfertigung. Zweimal wird Schay
vergeblich vorgeladen. Ein seitenlanges, sehr interessantes Protokoll
gibt Kunde von der Verhandlung am 19. September 1814 auf dem Amt
Calenberg.
Für sein zweimaliges Fernbleiben entschuldigt er
sich einmal wegen der Feier des jüdischen Neujahrsfestes und das
andere Mal sei er verreist gewesen. Ferner gibt er an:
„Solange
die Hannnöversche Verwaltung gedauert habe, hätte er es nicht
gewagt, gegen das von Königlicher Regierung ergangene Verbot, die
Stelle des Köthners Blume, die der Schlächter Schreyer aus Jeinsen
gekauft habe, zu erwerben. Aber
während der Westfälischen Verfassung (König Jerôme) habe kein
Verbot bestanden, daß jüdische Untertanen Grundbesitz erwerben
dürften,
und so habe er keine Bedenken gehabt, in den Kontrakt Schreyers
einzutreten. Diese Verhandlung sei indes nur mündlich abgemacht und
damit beschlossen, daß Schreyer ihm sämtliche sich auf den Ankauf
beziehenden Aktenstücke ausgehändigt habe. Da er nicht der einzige
Jude gewesen sei, der in dieser Periode Grundbesitz erworben habe,
hoffe er, daß man dieses nicht übel aufnehmen werde. Nur durch den
Tod des Schlächters Schreyer sei die Sache noch nicht abgewickelt
gewesen.
Zu
der Köthnerei gehöre auch kein Ackerland, und das dem
Herrschaftlichen Amt zustehende Dienstgeld für Haus und Garten von
nur 5 Reichsthalern und 24 Mariengroschen könne er leicht aufbringen
(anstatt der auf den Köthnerstellen lastenden Hand- und
Spanndienste). Die 27O Reichsthaler in Gold, die Schlächter Schreyer
von der Kaufsumme schuldig geblieben sei, habe er auch übernommen
und hätte sie schon längst beim damaligen Mahlerter Friedensrichter
Liekefett bezahlt, wenn die angesagten Termine zustande gekommen
wären.
Die
Schulden, die vom ersten Ehemann seiner Ehefrau , Amsel Calman
herrührten, seien längst vor dem Friedensrichter Liekefett in der
Westfälischen Zeit durch einen Vergleich bereinigt.
Sehr
hart wäre es auch für ihn, wenn das Gesuch abgeschlagen würde,
weil er schon 3OO bis 4OO Reichsthaler an Reparaturen in das Haus
gesteckt habe."
Im Mai 1815 wird Nathan Schay-Neuberg folgender
Beschluß verkündet und schriftlich ausgehändigt:
„Nathan
Schay-Neuberg wird der Besitz des Kothofes zugesprochen.
Sollte
allerdings ihm oder seinen Leibes- oder sonstigen Erben der
Landesherrliche Schutz (Schutzbrief) entzogen werden, so muß der
Kothof einem christlichen Einwohner verkauft oder überlassen werden.
Sollten er oder seine Frau zu ihren Lebzeiten den Kothof verkaufen
wollen, so gilt dieselbe Bedingung, daß der neue Besitzer ein Christ
sein muß und kein Jude sein darf."
Quelle:
NHSA Hannover, Sign. Hann 74 Calenberg, Nr. 430 und Nr. 439
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