Thursday, April 26, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (10)


Familienschicksale - Nathan Schay-Neuberg kauft eine Köthnerstelle


18O8 nach der Verkündung des Westfälischen Namensediktes nahm das Ehepaar Simson/Schay als unveränderlichen Nachnamen den Namen Neuberg an.
Die von den Franzosen zugesicherte Gleichberechtigung schloß den bis dahin im Kurfürstentum Hannover verbotenen Grunderwerb der Juden ein. Nathan Schay nutzte die Gunst der Stunde. Nachdem er am 21. Dezember 18O6 seinen Schutzbrief erhalten hatte, kaufte er die Köthnerstelle Nr. 15 ( Lange Str. Nr. 7).

Diese Köthnerstelle hatte Hans Heinrich Blume gehört, der über 40 Jahre dort den Dorfkrug und einen einträglichen Garn- und Hokenhandel betrieben hatte. Nach seinem Tode 1802 geriet sein Sohn Heinrich Julius Blume in finanzielle Schwierigkeiten. Er ging in Konkurs. und der Schlachter Schreyer aus Jeinsen kaufte Haus und Grundstück. Von diesem erwarb Nathan Neuberg die Köthnerstelle. Aber die behördliche Zustimmung zum Erwerb der „Köthnerey" wurde ihm von Seiten der Regierung mit Schreiben vom 16. Juni 18O8 verweigert.

Als Begründung wurde angegeben, daß das Ehepaar nicht wohlhabend genug sei, um solche finanziellen Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Denn es sei nicht einmal im Stande gewesen, die Schulden von Amsel Calman abzutragen, dem ersten Ehemann der Rahel Simson.

Solange die Franzosen im Lande waren, ließ man die Familie Schay-Neuberg unbehelligt. Sie wohnte in ihrem Hause, brachte es zu einer ansehnlichen Kinderschar, hatte einen Hauslehrer, eine Dienstmagd, einen Handelsknecht und brachte es durch den Handel mit „Tuch- und Ellenwaren" zu einigem Wohlstand.
Aber als die Franzosen abgezogen waren, wurden die meisten alten Judengesetze wieder in Kraft gesetzt und Familie Neuberg mußte um ihren Besitz fürchten.
Daher richtete Neuberg im Sommer des Jahres 1814 an die Provisorische Regierungskommission das Gesuch, ihn in seinem Besitz zu bestätigen. Diese forderte das Amt Calenberg auf, Nathan Schay (auch die bleibenden Familiennamen hatte man vorübergehend wieder abgeschafft) zur Verantwortung zu ziehen, weil er die besagte Köthnerstelle angekauft habe, obwohl ihm die Erlaubnis dazu (im Jahre 18O8) verweigert worden war. Der in Rössing schon während der Franzosenzeit amtierende Bürgermeister Georg Opitz befürwortete aber das Gesuch des Nathan Schay-Neuberg sehr eindringlich.

"Da es keine weiteren Gründe gibt, dem Schay-Neuberg die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb zu verweigern, als den, weil eigentlich die Schutzjuden nicht mit liegenden Gründen angesetzt sein sollten, so ist dies in neueren Zeiten aber doch möglich. Die Familie ist inzwischen wohlhabend und in der Lage, die Blumesche Konkurs-Sache endlich zu beendigen und den ausstehenden Teil der Kaufsumme und die restlichen Zinsen bar zu bezahlen. Darum weiß ich dem Wunsche des Schay-Neuberg, in seinem Eigentum von der jetzigen Landesregierung geschützt zu werden, gar nichts entgegen zu setzen."

Aber das Amt Calenberg fordert Rechtfertigung. Zweimal wird Schay vergeblich vorgeladen. Ein seitenlanges, sehr interessantes Protokoll gibt Kunde von der Verhandlung am 19. September 1814 auf dem Amt Calenberg.
Für sein zweimaliges Fernbleiben entschuldigt er sich einmal wegen der Feier des jüdischen Neujahrsfestes und das andere Mal sei er verreist gewesen. Ferner gibt er an:

Solange die Hannnöversche Verwaltung gedauert habe, hätte er es nicht gewagt, gegen das von Königlicher Regierung ergangene Verbot, die Stelle des Köthners Blume, die der Schlächter Schreyer aus Jeinsen gekauft habe, zu erwerben. Aber während der Westfälischen Verfassung (König Jerôme) habe kein Verbot bestanden, daß jüdische Untertanen Grundbesitz erwerben dürften, und so habe er keine Bedenken gehabt, in den Kontrakt Schreyers einzutreten. Diese Verhandlung sei indes nur mündlich abgemacht und damit beschlossen, daß Schreyer ihm sämtliche sich auf den Ankauf beziehenden Aktenstücke ausgehändigt habe. Da er nicht der einzige Jude gewesen sei, der in dieser Periode Grundbesitz erworben habe, hoffe er, daß man dieses nicht übel aufnehmen werde. Nur durch den Tod des Schlächters Schreyer sei die Sache noch nicht abgewickelt gewesen.
Zu der Köthnerei gehöre auch kein Ackerland, und das dem Herrschaftlichen Amt zustehende Dienstgeld für Haus und Garten von nur 5 Reichsthalern und 24 Mariengroschen könne er leicht aufbringen (anstatt der auf den Köthnerstellen lastenden Hand- und Spanndienste). Die 27O Reichsthaler in Gold, die Schlächter Schreyer von der Kaufsumme schuldig geblieben sei, habe er auch übernommen und hätte sie schon längst beim damaligen Mahlerter Friedensrichter Liekefett bezahlt, wenn die angesagten Termine zustande gekommen wären.
Die Schulden, die vom ersten Ehemann seiner Ehefrau , Amsel Calman herrührten, seien längst vor dem Friedensrichter Liekefett in der Westfälischen Zeit durch einen Vergleich bereinigt.
Sehr hart wäre es auch für ihn, wenn das Gesuch abgeschlagen würde, weil er schon 3OO bis 4OO Reichsthaler an Reparaturen in das Haus gesteckt habe."

Im Mai 1815 wird Nathan Schay-Neuberg folgender Beschluß verkündet und schriftlich ausgehändigt:

Nathan Schay-Neuberg wird der Besitz des Kothofes zugesprochen.
Sollte allerdings ihm oder seinen Leibes- oder sonstigen Erben der Landesherrliche Schutz (Schutzbrief) entzogen werden, so muß der Kothof einem christlichen Einwohner verkauft oder überlassen werden. Sollten er oder seine Frau zu ihren Lebzeiten den Kothof verkaufen wollen, so gilt dieselbe Bedingung, daß der neue Besitzer ein Christ sein muß und kein Jude sein darf."

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74 Calenberg, Nr. 430 und Nr. 439


No comments:

Post a Comment