Familienschicksale – Rahel Simson, Nathan Schay-Neuberg und ihre Kinder
Rahel
Simson und Nathan Schay-Neuberg werden Stammeltern einer jüdischen
Familie, die über vier Generationen bis ca. 1930 in Rössing
ansässig ist.
Nathan
Schay-Neuberg bezahlt jährlich 4 Reichstaler für den Schutzbrief
für sich und seine Familie und gehört somit zu den „reputierlichen“
Juden. Er ist recht wohlhabend und handelt mit Tuch- und Ellenwaren,
außerdem betreibt er einen Hoken- oder Kleinhandel.
Eine
amtliche Beurteilung über ihn lautet im Jahre 1816:
---ist
ein rechtlicher Mann, führt sich recht gut und besitzt hier eine
kleine Köthnerey.
Zwischen
1807 und 1815 bekommt das Ehepaar fünf Kinder:
Nathan 1807
Ester 1809
Simon 1811
Lina 1813
Sara 1815
Conrad
Geburtsjahr unbekannt
Außerdem
gehören zum Haushalt der Schullehrer Daniel Rufen, der Handelsknecht
Wolf Walbaum und die Magd Eva Moses.
1828
verfügt die Regierung,
daß die Juden
wieder
unveränderliche Nachnamen annehmen müssen. Nathan Schay nimmt
wieder seinen alten Namen aus der Franzosenzeit an: Neuberg.
Bildung von Synagogengemeinden
Mit
Schreiben vom 18. Juli 1843 fordert die Landdrostei die Juden in
Rössing auf, Synagogengemeinden zu bilden. Der Vorsteher dieser
Synagogengemeinde wird verpflichtet, Trauungs-, Geburts- und
Sterbelisten zu führen. Dies sind die einzigen Quellen für die
Lebensdaten der hiesigen jüdischen Einwohner. Von diesen Listen sind
aber nur sehr wenige, dazu lückenhaft geführte Exemplare erhalten.
Standesämter gab es noch nicht und jüdische Geburten oder
Eheschließungen wurden in die christlichen Kirchenbücher nicht
eingetragen.
Der
erste Synagogenvorsteher wird Nathan Neuberg.
Eine
schöne Mitgift
Im
Jahr 1854 taucht noch eine Julie Neuberg auf, die wir nicht ohne
weiteres einordnen können. Es kann sich um eine spät geborene
Tochter von Rachel und Nathan Neuberg oder um eine schon
heiratsfähige Tochter des noch recht jungen Simon Neuberg handeln.
Von
ihr erfahren wir erst im Jahre 1854 etwas, als der 30jährige
Handelsmann Levi Wolff aus Hildesheim sie heiraten will.
Der
Hildesheimer Magistrat hat Bedenken wegen der wirtschaftlichen Lage
des Bräutigams. Aus diesem Grunde richtet er am 11. März 1854 eine
Anfrage an die Gemeinde Rössing, ob die Angaben des Wolff zutreffen,
dass der „Fabrikant“ Neuberg seine Tochter mit einem Brautschatz
von 400 Reichsthalern ausstatten kann,
und
außerdem erkundigt er sich nach dem guten Ruf der Braut.
Beide
Fragen werden wohlwollend beantwortet.
„Der
Fabrikant Neuberg ist sehr wohl des Vermögens, seiner Tochter eine
Aussteuer von 400 Reichsthalern zu geben.
Seine
Tochter Julie Neuberg hat bis jetzt ein sittlich unbescholtenes Leben
geführt.“
Und so steht einer Heirat wohl nichts mehr im Wege. Allerdings erfahren wir in dem Schreiben auch nicht, ob es sich bei dem Brautvater, dem „Fabrikanten Neuberg, um den Vater Nathan oder seinen Sohn Simon Neuberg handelt.
Kurze
Zeit später, noch in demselben Jahre 1854 stirbt Nathan Neuberg.
Das Erbe wird geteilt
Nach
dem Tode des Vaters wird der zweitälteste Sohn von Nathan, der 1811
geborene Simon Neuberg im Jahr 1855 Synagogenvorsteher.
Das
Grundstück der Köthnerstelle Nr. 15 wird mit dem Garten der Länge
nach geteilt. Zu jedem Teil gehört ein Wohnhaus und ein
langgestreckter Garten. Das linke Haus erbt Simon, es behält die
Nummer 15 (heute Lange Straße Nr. 7), das rechte Haus erhält der
jüngste Sohn Conrad. Dies steht mit dem Giebel direkt an der Straße
und bekommt die neue Hausnummer 71 (heute Lange Straße Nr. 9).
Über
Nathan, den ältesten Sohn des Ehepaares und die drei Töchter
erfahren wir nichts. Ob sie verheiratet und fortgezogen oder
verstorben sind, geht aus den Unterlagen nicht hervor.
Die
nächste Generation
Simon
Neuberg ist verheiratet mit Friederike Oppenheimer und hat zwei
Kinder.
Die
Tochter Regine heiratet 1866 den 30jährigen Hermann Leidensdorf aus
Neuhaus an der Elbe und verläßt Rössing.
Der
Sohn David ist Kaufmann und heiratet am 13. Februar 1872 Johanne
Kaiser aus Eschwege, wo auch die Hochzeit stattfindet, und am 29.
November desselben Jahres wird er Vater eines Sohnes Paul.
Dieser
Paul Neuberg taucht später als Inhaber eines Schuhgeschäftes in
Walsrode auf. Seine Familie fällt später dem Holocaust zum Opfer.
Wahrscheinlich
ist Simon Neuberg 1873 schon verstorben, denn der Schlachter Israel
Levi Blumenthal hat zu diesem Zeitpunkt das Amt des
Synagogenvorstehers inne.
Simon
Neubergs Wohnhaus wird um die Jahrhundertwende 1899/1900 an
Schneidermeister Wilhelm Haase verkauft, der es seiner Tochter
vererbt und seit 1982 ist es im Besitz von Klaus Peinemann.
Die
Witwe von David Neuberg, Johanne Kaiser, lebt nachdem Wegzug ihres
Sohnes und dem Verkauf des Hauses noch bis ca. 1930 allein in Rössing
im Eikenhof Nr. 4 (etwa 2004 abgerissen). In der Nachbarschaft war
sie als „Tante Nit“ bekannt. Sie hütete oft die Kinder der
Bauern und ging mit ihnen spazieren, wenn diese keine Zeit hatten.
Eine stereotype Redewendung von ihr war: „Nit woahr?“, und so kam
sie zu ihrem Spitznamen. Sie starb etwa 1930 und hat die Zeit der
Nationalsozialisten nicht mehr erlebt.
Über
die Familie von Conrad Neuberg oder seine Nachfahren ist nichts
bekannt. Das Haus Nr 71 wird schon vor der Jahrhundertwende verkauft.
Es wechselt mehrfach den Besitzer; Kregel, Sindram und bis in die
50er Jahre Familie Siede. Der letzte Siede war ein besonderes
Original, er war der letzte Rössinger Bader, gleichzeitig Friseur,
Apotheker, Arzt, Zahnarzt und Kohlenhändler.
Heute
hat das Haus einen Sarstedter Besitzer.
Damit
war die Familie Neuberg in Rössing ausgestorben. Auf dem jüdischen
Friedhof finden sich auch keine Grabsteine der Familie Neuberg mehr.
Als 1940 der jüdische Friedhof zwangsweise verkauft wurde, entfernte
man die umgefallenen und zerbrochenen Grabmale. Es blieben nur Steine
der Familie Blumenthal erhalten, die bis 1942 in Rössing lebte.
Weitere Familiennachrichten
Der
Rössinger Stammvater der Neubergs, Nathan Schay, stammte aus
Sarstedt. Die Sarstedter Neubergs waren eine angesehene und
wohlhabende Familie und betrieben Textil- und Schuhhandel auf der
Hauptstraße. Unter anderem gehörte ihnen das Haus Steinstraße 13,
die heutige Begegnungsstätte der Gemeinde, bis sie in der NS-Zeit
dem Holocaust zum Opfer fielen
Quellen:
NHSA Sign: Hann 74 Cal Nr. 423, 424, 425, 427, 428, 431
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