Thursday, April 26, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (11)


Familienschicksale – Rahel Simson, Nathan Schay-Neuberg und ihre Kinder


Rahel Simson und Nathan Schay-Neuberg werden Stammeltern einer jüdischen Familie, die über vier Generationen bis ca. 1930 in Rössing ansässig ist.

Nathan Schay-Neuberg bezahlt jährlich 4 Reichstaler für den Schutzbrief für sich und seine Familie und gehört somit zu den „reputierlichen“ Juden. Er ist recht wohlhabend und handelt mit Tuch- und Ellenwaren, außerdem betreibt er einen Hoken- oder Kleinhandel.
Eine amtliche Beurteilung über ihn lautet im Jahre 1816:

---ist ein rechtlicher Mann, führt sich recht gut und besitzt hier eine kleine Köthnerey.

Zwischen 1807 und 1815 bekommt das Ehepaar fünf Kinder:
Nathan 1807
Ester 1809
Simon 1811
Lina 1813
Sara 1815
Conrad Geburtsjahr unbekannt
Außerdem gehören zum Haushalt der Schullehrer Daniel Rufen, der Handelsknecht Wolf Walbaum und die Magd Eva Moses.

1828 verfügt die Regierung, daß die Juden wieder unveränderliche Nachnamen annehmen müssen. Nathan Schay nimmt wieder seinen alten Namen aus der Franzosenzeit an: Neuberg.

Bildung von Synagogengemeinden


Mit Schreiben vom 18. Juli 1843 fordert die Landdrostei die Juden in Rössing auf, Synagogengemeinden zu bilden. Der Vorsteher dieser Synagogengemeinde wird verpflichtet, Trauungs-, Geburts- und Sterbelisten zu führen. Dies sind die einzigen Quellen für die Lebensdaten der hiesigen jüdischen Einwohner. Von diesen Listen sind aber nur sehr wenige, dazu lückenhaft geführte Exemplare erhalten. Standesämter gab es noch nicht und jüdische Geburten oder Eheschließungen wurden in die christlichen Kirchenbücher nicht eingetragen.
Der erste Synagogenvorsteher wird Nathan Neuberg.

Eine schöne Mitgift

Im Jahr 1854 taucht noch eine Julie Neuberg auf, die wir nicht ohne weiteres einordnen können. Es kann sich um eine spät geborene Tochter von Rachel und Nathan Neuberg oder um eine schon heiratsfähige Tochter des noch recht jungen Simon Neuberg handeln.

Von ihr erfahren wir erst im Jahre 1854 etwas, als der 30jährige Handelsmann Levi Wolff aus Hildesheim sie heiraten will.
Der Hildesheimer Magistrat hat Bedenken wegen der wirtschaftlichen Lage des Bräutigams. Aus diesem Grunde richtet er am 11. März 1854 eine Anfrage an die Gemeinde Rössing, ob die Angaben des Wolff zutreffen, dass der „Fabrikant“ Neuberg seine Tochter mit einem Brautschatz von 400 Reichsthalern ausstatten kann,
und außerdem erkundigt er sich nach dem guten Ruf der Braut.
Beide Fragen werden wohlwollend beantwortet.

Der Fabrikant Neuberg ist sehr wohl des Vermögens, seiner Tochter eine Aussteuer von 400 Reichsthalern zu geben.
Seine Tochter Julie Neuberg hat bis jetzt ein sittlich unbescholtenes Leben geführt.“

Und so steht einer Heirat wohl nichts mehr im Wege. Allerdings erfahren wir in dem Schreiben auch nicht, ob es sich bei dem Brautvater, dem „Fabrikanten Neuberg, um den Vater Nathan oder seinen Sohn Simon Neuberg handelt.

Kurze Zeit später, noch in demselben Jahre 1854 stirbt Nathan Neuberg.

Das Erbe wird geteilt


Nach dem Tode des Vaters wird der zweitälteste Sohn von Nathan, der 1811 geborene Simon Neuberg im Jahr 1855 Synagogenvorsteher.

Das Grundstück der Köthnerstelle Nr. 15 wird mit dem Garten der Länge nach geteilt. Zu jedem Teil gehört ein Wohnhaus und ein langgestreckter Garten. Das linke Haus erbt Simon, es behält die Nummer 15 (heute Lange Straße Nr. 7), das rechte Haus erhält der jüngste Sohn Conrad. Dies steht mit dem Giebel direkt an der Straße und bekommt die neue Hausnummer 71 (heute Lange Straße Nr. 9).
Über Nathan, den ältesten Sohn des Ehepaares und die drei Töchter erfahren wir nichts. Ob sie verheiratet und fortgezogen oder verstorben sind, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

Die nächste Generation

Simon Neuberg ist verheiratet mit Friederike Oppenheimer und hat zwei Kinder.
Die Tochter Regine heiratet 1866 den 30jährigen Hermann Leidensdorf aus Neuhaus an der Elbe und verläßt Rössing.

Der Sohn David ist Kaufmann und heiratet am 13. Februar 1872 Johanne Kaiser aus Eschwege, wo auch die Hochzeit stattfindet, und am 29. November desselben Jahres wird er Vater eines Sohnes Paul.
Dieser Paul Neuberg taucht später als Inhaber eines Schuhgeschäftes in Walsrode auf. Seine Familie fällt später dem Holocaust zum Opfer.

Wahrscheinlich ist Simon Neuberg 1873 schon verstorben, denn der Schlachter Israel Levi Blumenthal hat zu diesem Zeitpunkt das Amt des Synagogenvorstehers inne.
Simon Neubergs Wohnhaus wird um die Jahrhundertwende 1899/1900 an Schneidermeister Wilhelm Haase verkauft, der es seiner Tochter vererbt und seit 1982 ist es im Besitz von Klaus Peinemann.

Die Witwe von David Neuberg, Johanne Kaiser, lebt nachdem Wegzug ihres Sohnes und dem Verkauf des Hauses noch bis ca. 1930 allein in Rössing im Eikenhof Nr. 4 (etwa 2004 abgerissen). In der Nachbarschaft war sie als „Tante Nit“ bekannt. Sie hütete oft die Kinder der Bauern und ging mit ihnen spazieren, wenn diese keine Zeit hatten. Eine stereotype Redewendung von ihr war: „Nit woahr?“, und so kam sie zu ihrem Spitznamen. Sie starb etwa 1930 und hat die Zeit der Nationalsozialisten nicht mehr erlebt.
Über die Familie von Conrad Neuberg oder seine Nachfahren ist nichts bekannt. Das Haus Nr 71 wird schon vor der Jahrhundertwende verkauft. Es wechselt mehrfach den Besitzer; Kregel, Sindram und bis in die 50er Jahre Familie Siede. Der letzte Siede war ein besonderes Original, er war der letzte Rössinger Bader, gleichzeitig Friseur, Apotheker, Arzt, Zahnarzt und Kohlenhändler.
Heute hat das Haus einen Sarstedter Besitzer.

Damit war die Familie Neuberg in Rössing ausgestorben. Auf dem jüdischen Friedhof finden sich auch keine Grabsteine der Familie Neuberg mehr. Als 1940 der jüdische Friedhof zwangsweise verkauft wurde, entfernte man die umgefallenen und zerbrochenen Grabmale. Es blieben nur Steine der Familie Blumenthal erhalten, die bis 1942 in Rössing lebte.

Weitere Familiennachrichten


Der Rössinger Stammvater der Neubergs, Nathan Schay, stammte aus Sarstedt. Die Sarstedter Neubergs waren eine angesehene und wohlhabende Familie und betrieben Textil- und Schuhhandel auf der Hauptstraße. Unter anderem gehörte ihnen das Haus Steinstraße 13, die heutige Begegnungsstätte der Gemeinde, bis sie in der NS-Zeit dem Holocaust zum Opfer fielen

Quellen: NHSA Sign: Hann 74 Cal Nr. 423, 424, 425, 427, 428, 431 

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