Thursday, April 26, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (4)


Erwerb von Grund und Boden

Der Besitz von Grund und Boden, Ackerland und Gärten, Wohnhäusern und sonstigen Immobilien war den Juden in den welfischen Ländern seit eh und je verboten. Aber da sie Geldverleih betrieben und dafür häufig Sicherheiten in Form von Grundbesitz nahmen, waren die diesbezüglichen landesherrlichen Anordnungen oft unterlaufen worden.

Um den bestehenden Gesetzen erneut Nachdruck zu verleihen und einer weiteren Verbreitung dieses Brauchs Einhalt zu gebieten, wurde 1718 auf Befehl des hannoverschen Kurfürsten Georg Ludwig, der 1714 als Georg I den englischen Königsthron bestiegen hatte, ein Dekret mit folgendem Inhalt veröffentlicht:

"Es wird angeordnet, daß von nun an kein Jude in unseren Landen, den Fürstentümern Lüneburg, Calenberg, Göttingen und Grubenhagen u.s.w., die Stadt Harburg ausgenommen, weder in den Städten noch auf dem Land ein Wohnhaus oder andere Immobilien als Eigentum erwerben soll.

Nachdem die Juden in der vergangenen Zeit durch Kauf viele Häuser und Immobilien an sich gebracht, wurde die Zahl der Juden vermehrt, die bürgerliche Nahrung dagegen vermindert und die Häuser im Preis unnötig gesteigert. Außerdem werden die Bürger durch Einquartierung von Soldaten über Gebühr belastet, da die Juden-Häuser wegen der Verfassung bisher nie mit Einquartierung belegt worden sind. Damit diese Anordnung nicht unterlaufen wird, wird der Abschluß solcher Contrakte verboten, die am Ende eine rechtmäßige Güterübertragung nach sich ziehen. Wo eine Veräußerung verboten ist, ist auch eine Verpfändung verboten. Im ersteren Fall fallen die Immobilien der Königlichen Kammer anheim, im zweiten Fall, also bei Verpfändung, soll der Schuldner nicht zur Zahlung verpflichtet sein und der Contrakt null und nichtig.

Damit jedoch den Untertanen nicht jede Gelegenheit genommen wird, im Fall der Not auf ihre Immobilie Geld herzuleihen, so wird gestattet, daß ein Jude 6 Jahre lang Geld darauf leiht, dies darf aber nur vor dem Magistrate geschehen. Nach 6 Jahren erlischt der Vertrag. Sollte nach diesen 6 Jahren der Schuldner zahlungsunfähig sein, und eine Verlängerung der Hypothek wünschen, so ist dies beim Rat anzumelden, der eine diesbezügliche Anordnung trifft. Damit sich aber kein Jude mit Unwissenheit entschuldigt, wird diese Anordnung öffentlich angeschlagen und jedem Juden mit dem Schutzbrief zusammen ausgehändigt."

5. Januar 1718
Ad Mandatum Regis
F.W.Fr. von Goertz


Quelle: NHSA Sign: Hann 74, Cal Nr. 43O





Am 18. August 1731 wurde von der hannoverschen Regierung eine weitere Verordnung erlassen, die folgendes zum Inhalt hatte:

"Wir vernehmen mißfällig, daß unsere unterm 5. Januar 1718 erlassene Verordnung, kraft welcher wir verboten, daß die in unseren Landen vergeleiteten Juden einige unbewegliche Güter an sich bringen oder darauf anders als die vorgeschriebene Art Gelder herleihen, von vielen Magistratspersonen dahin gedeutet wird, daß den Juden erlaubt sei, bei Konkursen oder Zwangsversteigerungen Immobilien durch das höchste Gebot zu erstehen, oder auf Ländereien Geld zu leihen und in Besitz zu nehmen, den Pflug darauf zu schicken, oder Gärten und Wiesen selbst zu bestellen oder das Nutzungspfand an Liegenschaften zu genießen. Dies läuft unserer Absicht völlig zuwider. So bekräftigen wir unsere Willensmeinung dahingehend, daß es den Juden auf keine Art und Weise erlaubt sein soll, Immobilien an sich zu bringen. Auch bei Zwangsversteigerungen ist es nicht gestattet, daß sie selbst oder durch Bevollmächtigte vertreten, die Pfandnutzung an Ländereien, Gärten oder Wiesen erwerben."

Es folgt der Passus wie vorhergehend.

"Damit kein Jude sich mit Unwissenheit entschuldigen kann, wird dies sofort öffentlich bekannt gemacht und einem jeden Juden ein Exemplar zugestellt."

18. Aug. 1731
Ad Mandatum Regis
L. U. v. Hardenberg

Quelle: NHSA, Sign: Hann 74 Cal Nr. 43O



Aber schon längst hatte die handelsübliche Praxis die fürstlichen Anordnungen überholt. Es war den Juden nicht mehr länger zu verbieten, für ihre Darlehen auch offiziell Sicherheiten zu nehmen und auf Immobilien Hypotheken eintragen zu lassen. Daher folgte dem Dekret vom 18. Aug. 1731 einige Monate später, am 17. Dez. desselben Jahres ein neues. Im Namen des Königs Georg verfügte die hannoversche Regierung nun folgendes:

"Es sind bei der in unsern Landen angesessenen Judenschaft Zweifel über die unterm 18. August 1731 ergangene Verordnung entstanden: Kann einer der vergeleiteten Schutzjuden, wenn er Gelder ausleiht, gültige Hypothek auf Immobilien eintragen lassen? Hat eine solche Hypothek nach dem Edikt Gültigkeit und wird sie nach vorfallenden Konkursen anerkannt?

Unsere Willensmeinung wird hiermit kund getan: Weil den in unseren Landen vergeleiteten und mit richtigen Schutzbriefen versehenen Juden die Handelschaft nach Maßgabe der ergangenen Edikte gestattet ist, ist ihnen auch nicht verwehrt, bei allen ihnen erlaubten Verträgen die erlaubten Sicherheiten zu nehmen. Dazu gehört allerdings auch die Belastung von Immobilien und "liegenden Grund=Stücken" mit Hypotheken. Im übrigen behält das Edikt seine Gültigkeit. Wir erklären noch einmal ausdrücklich, daß alle vergeleiteten und mit gehörigen Schutzbriefen versehenen Juden bei allen und jeden ihnen erlaubten Handlungen, wo sie es zu ihrer Sicherheit nötig finden, sich von den Schuldnern auf Immobilien Hypotheken verschreiben lassen dürfen und bei entstehenden Konkursen und anderen ´Prozessen in Judicando´ den Rechten gemäß darauf zu reflektieren. Es soll nach rechtlicher Ordnung bei all unseren Gerichten danach verfahren werden ohne Ansehung der Tatsache, daß bei dieser Art Schulden Juden in den Besitz von Immobilien kommen.

17. Dezember 1731
Ad Mandatum Regis
L. U. v. Hardenberg


Quelle: NHSA Sign: Hann 74 Cal Nr. 43O

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