Thursday, April 26, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (8)


Familienschicksale - Samuel Hirsch und seine Frau Jette

Die folgenden Kapitel drehen sich vor allem um die Erlangung der für die Juden überlebenswichtige Schutzbrieferteilung.

Im Jahre 1806 stellt der „Judenknecht“ Samuel Hirsch aus Barnten wiederholt einen Antrag auf einen Schutzbrief auf Rössing. Als „Judenknechte“ wurden alle nicht selbstständig arbeitenden männlichen Juden im „Amtsdeutsch“ bezeichnet. Dieser Schutzbrief wird ihm mehrmals abgeschlagen.

Der gutachterliche Bericht des Rössinger Gemeindevogts war sehr ungünstig ausgefallen. Samuel Hirsch stammte aus Barnten, das zum Hildesheimer Amt Steuerwald gehörte.

Nachdem sein in Armut geratener Vater sich zu seinem in Copenhagen etablierten Sohne begeben, hat er sich bald im Hildesheimischen, bald im Hannöverschen umhergetrieben. Mehr denn ein Schutzjude darf nach unserm unterthänigst pflichtmäßigen Dafürhalten im Dorfe Rössing nie vergleitet werden, wenn er sich auf ehrliche Art nähren und seinen Glaubensgenossen nicht als Bettler zur Last fallen soll. Es erscheint der hiesigen Amts- und Gerichtsgemeinde von keinem großen Gewicht, ob es gleich bei dem geführten umherschweifenden Lebenswandel des Supplikanten uns unthunlich gewesen, von dessen bisherigem Wandel zuverlässige Erkundigung einzuziehen.“

In diesem Schreiben vom 18. Dezember 1805 an das Regierungs-Collegium des Amtes Calenberg legt der Amtsvogt aus Rössing seiner vorgesetzten Behörde nahe, die Schutzbriefanträge des Samuel Hirsch ein für allemal abzulehnen.

Samuel Hirsch hält sich die nächsten Jahre trotzdem vorwiegend in Rössing unter dem Adeligen Gericht als unvergleiteter Jude auf. Er lebt vom Trödelhandel mehr schlecht als recht. Als während der Franzosenzeit das westfälische Namensedikt 1808 verlangte, daß die hannöverschen Juden unveränderliche Familiennamen annehmen sollten, nennt er sich
Samuel Hirsch-Neuhaus
Er heiratet während dieser Zeit eine Jette Behrens aus Bernburg, mit welcher er jedoch eine „unzufriedene Ehe“ führt.

Bürgermeister (maire) Georg Opitz beschreibt die Verhältnisse des Ehepaares Hirsch-Neuhaus:

Samuel Hirsch-Neuhaus, 39 Jahre, lebt vom Trödelhandel, seine Vermögensumstände sind schlecht. Er lebt unter dem Adeligen Gericht und hat eine Frau.“
Bei der Frage nach der Schutzwürdigkeit heißt es einmal:

Er führt nicht die beste Lebensart, mißhandelt seine Frau und überläßt sie der
Wohltätigkeit anderer Leute. Er verdient den Schutz nicht.“


Ein anderes Mal lautet seine Beurteilung ähnlich:

Er stehet nicht in bestem Rufe, soll jedem schuldig sein und behandelt seine Frau äußerst schlecht, hat sich von ihr separiert, gibt ihr nichts zu leben und muß Leute um Almosen anbetteln. Meines Dafürhaltens soll ihnen der Schutz nicht gewährt werden. Ein Haus oder Grundstück besitzt das Paar nicht in Rössing.“

Nachdem das Paar schon einige Zeit getrennt gelebt hatte, ließ es sich im Jahre 1817 förmlich scheiden, und die Ehe wurde den jüdischen Gesetzen gemäß aufgehoben. Für ihr eingebrachtes Heiratsgut erhielt Jette Behrens von ihrem geschiedenen Ehemann 50 Reichstaler zurück.

1818 hat Samuel Hirsch-Neuhaus dann doch seinen Schutzbrief erhalten und der Rössinger Gemeindevogt Opitz steckt sich hinter die Verwaltung auf dem Calenberg, um Jette Behrens, die sich „hier immer noch herumtreibt und mit allerlei Trödeleien abgibt,“ nach Bernburg, in ihre Heimat und zu ihren wohlhabenden Verwandten abzuschieben.
Obwohl sie hier doch gar keine Veranlassung zu längerem Aufenthalt mehr hat, hält sie sich doch noch am Ort und in der Umgebung auf und hat auch immer noch ein Unterkommen gefunden. Da inzwischen zu befürchten ist, daß besagte Person, wenn sie einst alt und hilfsbedürftig ist, dem Publico zur Last fällt und um Unterstützung bittet, halte ich es für meine Pflicht, die Verhältnisse dem königlichen Amte anzuzeigen. Der Jette Behrens sei bitte zu bedeuten, daß sie sich binnen einiger Monate von hier wegzubegeben habe.“

Auf dies Schreiben vom Gemeindevogt Opitz vom Dezember 1819 erhält Jette Behrens vom Königlichen Amt Calenberg die Aufforderung, sich bis Ostern 1820 aus Rössing und dem hiesigen Amte zu entfernen. Offenbar hat sie dieser Aufforderung Folge geleistet, denn sie taucht in den Rössinger Akten nicht wieder auf.

Das fiscalische Schutzgeld für Samuel Hirsch-Neuhaus war 1818 bei Erteilung des Schutzbriefes zunächst auf 4 Reichstaler festgesetzt worden. Aber da das Geld nicht beizutreiben war, wird es 1822 auf 2 Reichstaler ermäßigt und danach „wegen seiner Dürftigkeit“ ganz erlassen. Bis 1840 wird Samuel Hirsch-Neuhaus in den Listen der jüdische Einwohner noch geführt. Wahrscheinlich ist er dann gestorben und auf dem jüdischen Friedhof in Rössing beigesetzt.

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Cal. Nr. 425

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