Familienschicksale - Samuel Hirsch und seine Frau
Jette
Die folgenden Kapitel drehen sich vor allem um die
Erlangung der für die Juden überlebenswichtige
Schutzbrieferteilung.
Im
Jahre 1806 stellt der „Judenknecht“ Samuel Hirsch aus Barnten
wiederholt einen Antrag auf einen Schutzbrief auf Rössing. Als
„Judenknechte“ wurden alle nicht selbstständig arbeitenden
männlichen Juden im „Amtsdeutsch“ bezeichnet. Dieser Schutzbrief
wird ihm mehrmals abgeschlagen.
Der
gutachterliche Bericht des Rössinger Gemeindevogts war sehr
ungünstig ausgefallen. Samuel Hirsch stammte aus Barnten, das zum
Hildesheimer Amt Steuerwald gehörte.
„Nachdem
sein in Armut geratener Vater sich zu seinem in Copenhagen
etablierten Sohne begeben, hat er sich bald im Hildesheimischen, bald
im Hannöverschen umhergetrieben. Mehr denn ein Schutzjude darf nach
unserm unterthänigst pflichtmäßigen Dafürhalten im Dorfe Rössing
nie vergleitet werden, wenn er sich auf ehrliche Art nähren und
seinen Glaubensgenossen nicht als Bettler zur Last fallen soll. Es
erscheint der hiesigen Amts- und Gerichtsgemeinde von keinem großen
Gewicht, ob es gleich bei dem geführten umherschweifenden
Lebenswandel des Supplikanten uns unthunlich gewesen, von dessen
bisherigem Wandel zuverlässige Erkundigung einzuziehen.“
In diesem Schreiben vom 18. Dezember 1805 an das
Regierungs-Collegium des Amtes Calenberg legt der Amtsvogt aus
Rössing seiner vorgesetzten Behörde nahe, die Schutzbriefanträge
des Samuel Hirsch ein für allemal abzulehnen.
Samuel
Hirsch hält sich die nächsten Jahre trotzdem vorwiegend in Rössing
unter dem Adeligen Gericht als unvergleiteter Jude auf. Er lebt vom
Trödelhandel mehr schlecht als recht. Als während der Franzosenzeit
das westfälische Namensedikt 1808 verlangte, daß die hannöverschen
Juden unveränderliche Familiennamen annehmen sollten, nennt er sich
Samuel
Hirsch-Neuhaus
Er
heiratet während dieser Zeit eine Jette
Behrens
aus Bernburg, mit welcher er jedoch eine „unzufriedene Ehe“
führt.
Bürgermeister
(maire) Georg Opitz beschreibt die Verhältnisse des Ehepaares
Hirsch-Neuhaus:
„Samuel Hirsch-Neuhaus, 39 Jahre,
lebt vom Trödelhandel, seine Vermögensumstände sind schlecht. Er
lebt unter dem Adeligen Gericht und hat eine Frau.“
Bei
der Frage nach der Schutzwürdigkeit heißt es einmal:
„Er
führt nicht die beste Lebensart, mißhandelt seine Frau und überläßt
sie der
Wohltätigkeit
anderer Leute. Er verdient den Schutz nicht.“
Ein
anderes Mal lautet seine Beurteilung ähnlich:
„Er
stehet nicht in bestem Rufe, soll jedem schuldig sein und behandelt
seine Frau äußerst schlecht, hat sich von ihr separiert, gibt ihr
nichts zu leben und muß Leute um Almosen anbetteln. Meines
Dafürhaltens soll ihnen der Schutz nicht gewährt werden. Ein Haus
oder Grundstück besitzt das Paar nicht in Rössing.“
Nachdem das Paar schon einige Zeit getrennt gelebt
hatte, ließ es sich im Jahre 1817 förmlich scheiden, und die Ehe
wurde den jüdischen Gesetzen gemäß aufgehoben. Für ihr
eingebrachtes Heiratsgut erhielt Jette Behrens von ihrem geschiedenen
Ehemann 50 Reichstaler zurück.
1818 hat Samuel Hirsch-Neuhaus dann doch seinen
Schutzbrief erhalten und der Rössinger Gemeindevogt Opitz steckt
sich hinter die Verwaltung auf dem Calenberg, um Jette Behrens, die
sich „hier immer noch herumtreibt und mit allerlei
Trödeleien abgibt,“ nach Bernburg, in ihre Heimat und zu ihren
wohlhabenden Verwandten abzuschieben.
„Obwohl sie hier
doch gar keine Veranlassung zu längerem Aufenthalt mehr hat, hält
sie sich doch noch am Ort und in der Umgebung auf und hat auch immer
noch ein Unterkommen gefunden. Da inzwischen zu befürchten ist, daß
besagte Person, wenn sie einst alt und hilfsbedürftig ist, dem
Publico zur Last fällt und um Unterstützung bittet, halte ich es
für meine Pflicht, die Verhältnisse dem königlichen Amte
anzuzeigen. Der Jette Behrens sei bitte zu bedeuten, daß sie sich
binnen einiger Monate von hier wegzubegeben habe.“
Auf dies Schreiben vom Gemeindevogt Opitz vom
Dezember 1819 erhält Jette Behrens vom Königlichen Amt Calenberg
die Aufforderung, sich bis Ostern 1820 aus Rössing und dem hiesigen
Amte zu entfernen. Offenbar hat sie dieser Aufforderung Folge
geleistet, denn sie taucht in den Rössinger Akten nicht wieder auf.
Das fiscalische Schutzgeld für Samuel
Hirsch-Neuhaus war 1818 bei Erteilung des Schutzbriefes zunächst auf
4 Reichstaler festgesetzt worden. Aber da das Geld nicht beizutreiben
war, wird es 1822 auf 2 Reichstaler ermäßigt und danach „wegen
seiner Dürftigkeit“ ganz erlassen. Bis 1840 wird Samuel
Hirsch-Neuhaus in den Listen der jüdische Einwohner noch geführt.
Wahrscheinlich ist er dann gestorben und auf dem jüdischen Friedhof
in Rössing beigesetzt.
Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Cal. Nr. 425
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