Thursday, April 26, 2012

200 Jahre jüdische Geschichte in Rössing (9)


Familienschicksale - Rahel Simson, Amsel Calman und Nathan Schay- Neuberg

Im 18. Jahrhundert gab es in Rössing nach den registerförmigen Quellen noch keine vergleiteten Juden. Erst als in der Franzosenzeit die Bestimmungen liberaler wurden und die Verwaltungen durch die Fremdherrschaft sowieso verunsichert waren, faßten sie auch in Rössing Fuß.
Im Jahre 18O6 in Rössing wurde hier eine Jüdin mit Namen Rahel Simson aktenkundig. Sie stammte aus dem Hessischen und war zugewandert, aber bei wem sie in Rössing lebte oder arbeitete, geht nicht aus den Akten hervor. Doch dieser Aktenvermerk hatte schon eine längere Vorgeschichte.

Am 24.März des Jahres 18O4 hatte der aus dem Bambergischen zugewanderte und in Pattensen lebende „Judenknecht“ Amsel Calman einen Antrag auf Erteilung eines Schutzbriefes auf die Dorfschaft Wülfingen gestellt. Das wurde ihm aber mit Schreiben vom 6. August 18O4 von Seiten des "Calenberg-Grubenhagenschen Polizey- und Städte-Departements" verweigert.

Die Begründung lautete:

--daß bei der bereits vorhandenen großen Anzahl inländischer Schutzjuden Bedenken getragen werde, ausländischen Juden den Schutz in hiesigen Landen zu verleihen, mithin dem eingebrachten Gesuch nicht stattgegeben werde.“
Offenbar hat Amsel Calman doch noch den Schutzbrief auf Wülfingen erhalten, der bis "Meytag" 18O6 Gültigkeit hatte. Inzwischen hatte er sich mit der in Rössing lebenden Rahel Simson verlobt und beantragte im März 18O5 die Transferierung seines Schutzbriefes von Wülfingen auf das „ganze Dorf Rössing." Dazu mußte erst ein Gutachten von der Gemeindeverwaltung eingeholt werden.

Rössing bestand damals noch aus 2 Gemeindeteilen, dem Amt Rössing und dem Adeligen Gericht Rössing, die erst 1829 zusammengelegt wurden. Da man der Meinung war, daß mehr als ein einziger vergleiteter Jude für Rössing zuviel wäre, befürwortete man den Schutzbrief nur für das „ganze" Dorf, nicht etwa einen für jeden Gemeindeteil. Amsel Calman lebte vom Pferdehandel und erhielt seinen Schutzbrief. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, daß er dafür weiterhin jährlich 4 Reichstaler an das Amt Calenberg zu bezahlen habe, was eine ansehnliche Summe darstellte.

Ob es noch zu der beabsichtigten Heirat mit Rahel Simson kam oder ob Amsel Calman vorher starb, läßt sich nicht genau feststellen. Kurze Zeit nach der Transferierung des Schutzbriefes im Juli 18O5 war er jedenfalls tot und Rahel Simson wird manchmal als seine Braut und manchmal als seine Witwe bezeichnet.

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74 Cal 425




Rahel Simson und Nathan Schay-Neuberg


Aber im März des folgenden Jahres 18O6 hat Rahel Simson einen neuen Verlobten, Jesaia Nathan Schay aus Sarstedt, manchmal auch Schey oder Schaie geschrieben. Dieser nahm später den Namen Neuberg an, der noch manchem alten Rössinger bekannt ist. Rahel Simson beantragte den Schutzbrief für ihren Verlobten, damit er nach Rössing ziehen könnte und die Hochzeit stattfinden dürfte. Aber der Antrag wurde am 14. April 18O6 von „Seiner Königlichen Majestät von Preußen provisorisch bestätigter hiesigen Provinzial-Regierung" abgelehnt, denn im Jahre 1806 gehörte das Kurfürstentum Hannover im Zuge der Napoleonischen Wirren für einige Monate zu Preußen.

Daraufhin schrieb Nathan Schay ein weiteres dringendes Gesuch auf Erteilung des Schutzbriefes, weil seine Braut jetzt hoch schwanger sei, und er zeigte die unglücklichen Folgen, wenn sie nicht mit dem Landesherrlichen Schutz begnadigt würden.

"Es steht daher in Eurer Wohlgeborenen Gewalt, meine Braut und mich glücklich zu machen oder in namenloses Elend zu stürzen, denn auf den Bericht eures hochlöblichen Amtes wird es ankommen, ob ich mit dem Landesherrlichen Schutz begnadet werde oder nicht. Ich wage daher auf hochderoselben Menschenfreundlichkeit vertrauend, die gehorsamst demütigste Bitte: Hochderoselben wollen geruhen, auf das von meiner Braut unterm 19.d.M. bei einem hohen Polizey und Städte-Departement untertänigst überreichte Gesuch einen wohlmöglich guten Bericht huldvollst abzustatten.
Ich ersterbe in tiefstem Respekt
Euer Wohlgeboren untertänigster Diener

Nathan Schay“


Daraufhin ordnet die Provinzialregierung mit Schreiben vom 10. Juli 1806 an, daß das Gesuch erneut zu überprüfen sei. Es soll genau dargestellt werden, was gegen die Gewährung des Schutzes vorzubringen sei. Der Rössinger Amtsvogt beantwortet das Schreiben am 1. August 1806 wohlwollend. Aber offensichtlich hat sich der ganze Vorgang verzögert, vielleicht durch die politischen Veränderungen. Denn am 16. Oktober 1806 hatten die Preußen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage erlitten und die Franzosen waren wieder die Herren im Lande. Mit Schreiben vom 18. Dezember desselben Jahres befürwortet der Vogt erneut, Nathan Schay mit dem Schutz zu begnadigen, nachdem er umfassende Erkundigungen über das Vermögen, die Lebensumstände und die Familie des Bewerbers aus Sarstedt eingezogen hat.

Da ich wegen des bisherigen Lebenswandels und guter Aufführung die vorzüglichsten Zeugnisse erhalten habe, ist gegen eine Schutzbrieferteilung nichts einzuwenden.“

Diese erfolgte, wenn auch mit einiger Verzögerung, so daß die Heirat mit mit Rachel Simson stattfinden und das Paar sich in Rössing niederlassen konnte.

Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Cal Nr. 425

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