Familienschicksale
- Rahel
Simson, Amsel Calman und Nathan Schay- Neuberg
Im 18.
Jahrhundert gab es in Rössing nach den registerförmigen Quellen
noch keine vergleiteten Juden. Erst als in der Franzosenzeit die
Bestimmungen liberaler wurden und die Verwaltungen durch die
Fremdherrschaft sowieso verunsichert waren, faßten sie auch in
Rössing Fuß.
Im Jahre 18O6 in Rössing wurde hier eine Jüdin
mit Namen Rahel Simson aktenkundig. Sie stammte aus dem Hessischen
und war zugewandert, aber bei wem sie in Rössing lebte oder
arbeitete, geht nicht aus den Akten hervor. Doch dieser Aktenvermerk
hatte schon eine längere Vorgeschichte.
Am
24.März des Jahres 18O4 hatte der aus dem Bambergischen zugewanderte
und in Pattensen lebende „Judenknecht“
Amsel Calman einen Antrag auf Erteilung eines Schutzbriefes auf die
Dorfschaft Wülfingen gestellt. Das wurde ihm aber mit Schreiben vom
6. August 18O4 von Seiten des "Calenberg-Grubenhagenschen
Polizey- und Städte-Departements" verweigert.
Die
Begründung lautete:
„--daß
bei der
bereits vorhandenen großen Anzahl inländischer Schutzjuden Bedenken
getragen werde, ausländischen Juden den Schutz in hiesigen Landen zu
verleihen, mithin dem eingebrachten Gesuch nicht stattgegeben werde.“
Offenbar hat Amsel Calman doch noch den
Schutzbrief auf Wülfingen erhalten, der bis "Meytag" 18O6
Gültigkeit hatte. Inzwischen hatte er sich mit der in Rössing
lebenden Rahel Simson verlobt und beantragte im März 18O5 die
Transferierung seines Schutzbriefes von Wülfingen auf das „ganze
Dorf Rössing." Dazu mußte erst ein Gutachten von der
Gemeindeverwaltung eingeholt werden.
Rössing bestand damals noch aus 2 Gemeindeteilen,
dem Amt Rössing und dem Adeligen Gericht Rössing, die erst 1829
zusammengelegt wurden. Da man der Meinung war, daß mehr als ein
einziger vergleiteter Jude für Rössing zuviel wäre, befürwortete
man den Schutzbrief nur für das „ganze" Dorf, nicht etwa
einen für jeden Gemeindeteil. Amsel Calman lebte vom Pferdehandel
und erhielt seinen Schutzbrief. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt,
daß er dafür weiterhin jährlich 4 Reichstaler an das Amt Calenberg
zu bezahlen habe, was eine ansehnliche Summe darstellte.
Ob
es noch zu der beabsichtigten Heirat mit Rahel Simson kam oder ob
Amsel Calman vorher starb, läßt sich nicht genau feststellen. Kurze
Zeit nach der Transferierung des Schutzbriefes im Juli 18O5 war er
jedenfalls tot und Rahel Simson wird manchmal als seine Braut und
manchmal als seine Witwe bezeichnet.
Quelle:
NHSA Hannover, Sign. Hann 74 Cal 425
Rahel Simson und Nathan Schay-Neuberg
Aber
im März des folgenden Jahres 18O6 hat Rahel Simson einen neuen
Verlobten, Jesaia Nathan Schay aus Sarstedt, manchmal auch Schey oder
Schaie geschrieben. Dieser nahm später den Namen Neuberg an, der
noch manchem alten Rössinger bekannt ist. Rahel Simson beantragte
den Schutzbrief für ihren Verlobten, damit er nach Rössing ziehen
könnte und die Hochzeit stattfinden dürfte. Aber der Antrag wurde
am 14. April 18O6 von „Seiner Königlichen Majestät von Preußen
provisorisch bestätigter hiesigen Provinzial-Regierung"
abgelehnt, denn im Jahre 1806 gehörte das Kurfürstentum Hannover im
Zuge der Napoleonischen Wirren für einige Monate zu Preußen.
Daraufhin
schrieb Nathan Schay ein weiteres dringendes Gesuch auf Erteilung des
Schutzbriefes, weil seine Braut jetzt hoch schwanger sei, und er
zeigte die unglücklichen Folgen, wenn sie nicht mit dem
Landesherrlichen Schutz begnadigt würden.
"Es
steht daher in Eurer Wohlgeborenen Gewalt, meine Braut und mich
glücklich zu machen oder in namenloses Elend zu stürzen, denn auf
den Bericht eures hochlöblichen Amtes wird es ankommen, ob ich mit
dem Landesherrlichen Schutz begnadet werde oder nicht. Ich wage daher
auf hochderoselben Menschenfreundlichkeit vertrauend, die gehorsamst
demütigste Bitte: Hochderoselben wollen geruhen, auf das von meiner
Braut unterm 19.d.M. bei einem hohen Polizey und Städte-Departement
untertänigst überreichte Gesuch einen wohlmöglich guten Bericht
huldvollst abzustatten.
Ich
ersterbe in tiefstem Respekt
Euer
Wohlgeboren untertänigster Diener
Nathan Schay“
Daraufhin
ordnet die Provinzialregierung mit Schreiben vom 10. Juli 1806 an,
daß das Gesuch erneut zu überprüfen sei. Es soll genau dargestellt
werden, was gegen die Gewährung des Schutzes vorzubringen sei. Der
Rössinger Amtsvogt beantwortet das Schreiben am 1. August 1806
wohlwollend. Aber offensichtlich hat sich der ganze Vorgang
verzögert, vielleicht durch die politischen Veränderungen. Denn am
16. Oktober 1806 hatten die Preußen in der Schlacht bei Jena und
Auerstedt eine vernichtende Niederlage erlitten und die Franzosen
waren wieder die Herren im Lande. Mit Schreiben vom 18. Dezember
desselben Jahres befürwortet der Vogt erneut, Nathan Schay mit dem
Schutz zu begnadigen, nachdem er umfassende Erkundigungen über das
Vermögen, die Lebensumstände und die Familie des Bewerbers aus
Sarstedt eingezogen hat.
„Da ich wegen des bisherigen
Lebenswandels und guter Aufführung die vorzüglichsten Zeugnisse
erhalten habe, ist gegen eine Schutzbrieferteilung nichts
einzuwenden.“
Diese
erfolgte, wenn auch mit einiger Verzögerung, so daß die Heirat mit
mit Rachel Simson stattfinden und das Paar sich in Rössing
niederlassen konnte.
Quelle:
NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Cal
Nr. 425
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