Der jüdische
Friedhof
Über den Ursprung des jüdischen
Friedhofs an der alten Hildesheimer Straße, am Kirschenbrink, ist nichts
bekannt. Aber er ist mit Sicherheit schon über 200 Jahre alt. Die jüdischen
Friedhöfe auf den Dörfern wurden immer weitab vom Dorfmittelpunkt angelegt,
häufig mitten in der Feldmark. Der hiesige Friedhof lag damals auch weitab.
Durch die Ausdehnung des Dorfes liegt er heute schon am Rande des bebauten
Gebietes. Aktenkundig wurde der Friedhof am 10. Februar 1813.
Damals war der 56-jährige Adam Oppenheimer aus Gronau infolge eines Unglücksfalles beim
Überschreiten der zugefrorenen und mit Schnee bedeckten Leine ertrunken. Bei
Rössing war er gefunden und zu einem Hause im Eikenhof gebracht worden. Dort
wurde er von zwei Gronauer Glaubensgenossen, dem Kaufmann Heine Dannenberg, 23
Jahre alt, und Isaac Meier, 20 Jahre alt, im Beisein des Rössinger
Bürgermeisters Georg Opitz, (Rössing Nr. 22) identifiziert und dann auf dem
Rössinger Judenfriedhof beigesetzt.
1992 forschte ein Dr. Arnold
Oppenheimer aus London nach den Gräbern seiner Vorfahren auf dem Rössinger
Judenfriedhof, zu denen auch der ertrunkene Adam Oppenheimer gehörte. Er teilte
mit, dass viele seiner Gronauer Vorfahren auf dem Rössinger Friedhof beerdigt
seien, weil Rössing ein Sammelfriedhof gewesen
sei. Darüber waren aber hier bisher
noch keine Unterlagen aufgefunden worden. Doch es wäre einleuchtend, weil der
Rössinger Friedhof für die kleine Rössinger Synagogengemeinde allein sehr groß
gewesen wäre. Dr. Oppenheimer konnte es gar nicht fassen, dass die alten
Grabsteine seiner Familie nicht mehr erhalten sind, denn die Gräber der Juden
hatten eine ewige Liegezeit und wurden normalerweise nicht eingeebnet.
Die Zeitspanne zwischen der Feststellung des Todes und der
Bestattung war bei den Juden immer sehr kurz. Innerhalb von 24 Stunden mussten
sie beerdigt werden, zumindest durften sie nicht mehr im Hause sein. Erst ca.
25 Jahre später nach diesem Todesfall, etwa 1840, wurde diese Frist auf 48
Stunden verlängert, um zu verhindern, dass Scheintote oder im Koma Liegende bei
lebendigem Leibe begraben wurden.
Quelle: NHSA Hannover, Sign. Hann 74, Gronau 1660/1665
Schliessung der jüdischen Friedhöfe
Am 31. Juli 1938 beantwortete die Gemeinde Rössing
eine Anfrage der NS-Behörden, den jüdischen Friedhof betreffend:
„Der
jüdische Friedhof ist 4,37 ar groß, Eigentümer ist die jüdische Gemeinde in
Rössing. Die letzte Beerdigung war hier am 5. Juni 1938. Es sind noch etwa 25
freie Begräbnisplätze vorhanden. Zur Zeit wohnt noch eine jüdische Familie
Blumenthal mit vier Personen in Rössing.“
Karl Blumenthal hatte sich schon mit Wilhelm
Freimann, dem Grenznachbarn des jüdischen Friedhofes, in Anbetracht der sich
zuspitzenden Judenverfolgungen in Verbindung gesetzt. Wilhelm Freimann grenzte
mit seinem Hausgrundstück Nr 132, heute als Nr. 45 der Kirchstraße zugeordnet,
an den Judenfriedhof. Am 2. Juli 1940 wurde in Hannover zwischen dem
Rechtsanwalt Dr. Hans Israel Ries als alleinigem Vorstand der jüdischen
Kultusgemeinde, welche die Nachfolgerin der jüdischen Gemeinde in Rössing war,
und Wilhelm Freimann ein Kaufvertrag mit folgendem Inhalt geschlossen:
Die Schlosser Wilhelm Freimann kauft den ganzen jüdischen Friedhof von
4 ar 37m² für 218,50 RM. Der Käufer verpflichtet sich, während einer
Liegefrist
von 30 Jahren den mit Gräbern belegten Teil des Friedhofs unangetastet
zu
lassen und während der Liegefrist eine Grabpflege in angemessener Weise
vorzunehmen, den Angehörigen während der Liegefrist Zutritt zum
Friedhof zu
geben, auch wenn sie nicht mehr in Rössing ansässig sind, ggf.die
Beerdigung der z. Zt. in Rössing ansässigen Juden auf dem Friedhof zu gestatten
und unter allen Umständen die Pietät in erforderlicher Weise zu wahren.
Der Käufer hinterlegt den Kaufpreis beim Notar. Dieser übermittelt es
an die Reichsvereinigung der Juden in Berlin, die zugunsten des (jüdischen)
Gemeindevermögensfonds Rössing überweist.
Wilhelm Freimann ist Arier im Sinne des Gesetzes.
Unterschrift Unterschrift
Offenbar hatte man die Liegefristen für die
jüdischen Gräber schon auf 30 Jahre beschränkt.
Bei dieser Art Verträge war folgendes üblich:
Als am 6. September 1940 das Synagogengrundstück in
Eldagsen verkauft wurde, wurde der Vertrag ebenfalls vor Dr. Ries in Hannover
abgeschlossen. Als sich die Synagogengmeinde über den geringen Verkaufspreis
von 2.000 RM beschwerte, wurde ihr mitgeteilt, daß die Synagogengemeinde als
Verkäuferin sowieso nur 500 RM davon bekäme, 1.500 RM gingen an das Reich als
Ausgleichszahlung. Außerdem muß der Käufer noch 200 RM an den Makler bezahlen.
So ähnlich wird es auch beim Verkauf des Rössinger Friedhofs zugegangen sein.
Familie Freimann räumte den Friedhof auf und
entfernte die umgefallenen und zerbrochenen Grabsteine. Im übrigen hielt sie
ihn die ganzen Jahre in Ordnung, bis sie ihn nach dem Krieg entschädigungslos
wieder an die jüdische Gemeinde in Hannover (Haeckelstraße 13) übereignen
mußte, so war das Gesetz. Bis 1979 pflegte Familie Hachmeister-Freimann, nun
gegen ein geringes Entgelt, den Friedhof weiter.
Danach wurde eine Gärtnerei mit der Pflege
beauftragt, die mehrmals im Jahr den Rasen mäht. Die Gräber sind mit Efeu
bepflanzt, der auch geschnitten wird, und die Grabsteine wurden gereinigt.
Der Friedhof wurde neu eingezäunt, er erhielt
verschließbare Pforten, und ein holzgeschnitztes Schild „Judenfriedhof“ macht
auf den etwas versteckten Standort. aufmerksam.
.
Quellen: NHSA Hannover, Sign: Hann 174, Springe Nr.
163 und Nr. 167
Sechs alte Gräber und Grabsteine stehen noch auf dem
Friedhof. Vier davon sind aus schon sehr verwittertem Sandstein. Neben den
Namen und Daten auf der Vorderseite tragen sie auf der Rückseite umfangreiche
hebräische Inschriften.
Lewi Blumenthal Meier Blumenthal
geb. 1813, gest. 1881 geb. 1819, gest. ---
Sie waren die beiden Söhne des ersten Blumenthal
Israel Lewi I in Rössing
Line Blumenthal Johanne Blumenthal
geb. 1819, gest 1884 geb. 1855,
gest. 1926
die Frau von Meier Blumenthal
die Schwester von Moritz
Blumenthal
Der Grabstein von Moritz Blumenthal ist aus
schwarzem Marmor, der von seiner Frau dagegen schon recht klein und bescheiden.
Hier
ruht in Gott Hier
ruht
mein
unvergesslicher Gatte unsere
liebe Mutter
und
meiner Kinder Sophie Blumenthal
treusorgender Vater geb.
18.4.1866
Moritz Blumenthal gest. 4.5.1938
geb. 7.12.1858
gest. 17.11.1930
Von den fünf Söhnen von Moritz und Sophie Blumenthal
fand keiner mit seiner Familie die letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof
seines Heimatdorfes. Hermann und Gustav mit seiner Frau sind in den USA
geblieben und dort beerdigt, ebenso Willi.
Robert wurde als erster am 15. Dezember 1941 mit
Frau und Kindern nach Riga ins Ghetto transportiert, als Todesdatum wurde
angegeben 26.März 1942. Karl und Familie wurden am 28. März nach Trawniki in
Polen deportiert. Niemand weiß, wo sie geblieben sind und wie sie den Tod
fanden.Und von Willis Frau und Kindern haben wir gar keine Daten. Nur der Name
Blumenthal auf den sechs Grabsteinen erinnert noch an diese jüdische Familie,
die fast 140 Jahre in Rössing gelebt hat.
Vier
Stolpersteine
Die Gemeinde hat vor dem Hause der Blumenthals in
der Maschstraße Nr. 22 zum Gedenken an ihre jüdischen Mitbürger am 19. November
2009 vier „Stolpersteine“ durch
Gunter Demnig verlegen lassen: In einer sehr würdevollen Feier in Anwesenheit
von mehreren Mitgliedern der Familie Blumenthal wurden vier Messingplatten mit
den Namen der einzelnen Familienmitglieder ins Pflaster vor dem Hause eingelassen.
Es sind keine wirklichen Stolpersteine, sie sollen nur auffordern einen
Augenblick des Gedenkens innezuhalten.
Trotz ihrer schrecklichen Schicksale sind die beiden
Kinder von Gustav Blumenthal, Werner und Lore, wieder nach Deutschland
zurückgekommen, um hier zu leben. Werner ist nach der Internierung in Kanada
nach Herne gegangen, hat 1947 dort geheiratet und seine fünf Kinder leben alle
in Deutschland – in Berlin, Hamburg und Herne. Von dort sind sie gekommen, um
an der Feier teilzunehmen.
Lore ist nach dem Tode der Mutter - mit ihrem
amerikanischen Mann und dessen Mutter - ihrem Bruder nach Herne gefolgt. 1999 ,
mit 73 Jahren, ist sie in Herne gestorben.